Editorial
Dr. Günter Struve, Bild: ARD/Thorsten Jander |
Krimiexperten wissen: Der Zufall ist der wichtigste
Helfer bei der Verbrechensaufklärung.Zu einem guten
Krimi gehört neben einer schlüssigen Konstruktion
vor allem der Zufall ? und der Zufall ist nicht zuletzt
auch der Grund für die TATORT-Broschüre, die Sie in
Händen halten:ein Doppeljubiläum.Zufällig fallen die
600. Folge und das 35-jährige Bestehen der Reihe ins
gleiche Jahr!
Was bestimmt nicht allein vom Zufall abhängt: der
lang anhaltende Erfolg des TATORTs,der ältesten,nicht
alternden und nach wie vor meistgesehenen Krimi-
Reihe im deutschen Fernsehen. Hierfür gibt es benennbare
Gründe: die Wandlungsfähigkeit innerhalb
bestimmter invarianter Muster, die föderalistische
Vielfältigkeit, das breite Spektrum an Ermittler-Profilen,
der Bezug zur bundesdeutschen Wirklichkeit ?
vom gesellschaftskritischen Impuls in den 70ern bis
zur desillusionierten Haltung heutiger Ermittler; all
dies ist oft beschrieben und analysiert worden. Und
auch das ist ein Grund für den Erfolg: Der TATORT gibt
Ihnen,den Journalisten,ein unendliches Betätigungsfeld,
einen zweiten TATORT der spitzen Federn sozusagen,
in dem schreibend heftig aufgeklärt und so manche
Folge auch einmal kritisch ?abgeschossen? wird ?
Diskussionsstoff, der den TATORT von Folge zu Folge
begleitet.
Dieser Text stammt aus der Jubiläumsbroschüre der ARD zum 600.ten TATORT von 2005 |
Wie auch immer das Urteil am Ende ausfällt, eines
lässt sich dem TATORT nicht absprechen: Jede neue
Folge spinnt an einer Tradition weiter, nimmt diese
auf,setzt sich dagegen ab und in Bezug dazu. Der TATORT
ist zu einer Marke geworden, vor allem im ideellen
Sinn: Weg- und Wertmarke. Wir verdanken dies
keineswegs dem Zufall, sondern einem Einfall, einer
Idee des TATORT-Erfinders Gunter Witte, dessen televisionäre
Tat und redaktionelle Beharrlichkeit ein
Glücksfall für Das Erste waren.
Dennoch: Ein einfaches Erfolgsrezept lässt sich nicht
ausmachen.Das Ganze ist immer mehr als die Summe
seiner Teile.Das gilt besonders für den TATORT.Am Ende
gibt es viele gelungene und auch einige weniger gelungene Krimisonntage. Und es gibt liebgewonnene
Gewohnheiten, die die Zuschauer bei einer Reihe
halten, Verhaltensrituale, auf die man sich verlassen,
die man aber nie vollends erklären kann. Der TATORT
am Sonntag ist so ein TV-Ritual.
Natürlich hängt die Einprägsamkeit eines Produkts
ganz entscheidend von den Persönlichkeiten ab, die
dafür einstehen. Starke Ermittler-Charaktere prägten
seit je das Erscheinungsbild der Reihe ebenso wie herausragende
Regisseure und Drehbuchautoren.Sie alle
haben ihre Handschrift in die TATORT-Tafel eingeschrieben;
im umfangreichen Chronik-Teil dieser Broschüre
sind sie einzeln aufgelistet.
Jeder Dekadenwechsel war beim TATORT mit einem
kleinen Risiko verbunden; jede immer wieder nötige
Neujustierung ist gerade in dem im Fernsehen heftig
umkämpften Krimi-Genre ein heikles Unterfangen.
Der letzte Stabwechsel aber gelang ganz ausgezeichnet
und nahezu bruchlos. Die jüngsten 100 Folgen
brachten viele neue Ermittlerteams und viel Frauen-
Power, und in einigen Fällen sind gerade die beim
Publikum inzwischen zum ?Renner? der Reihe geworden.
Das gibt uns, den Machern, Mut und Stärke, weiterhin
entschlossen auf den Zufall des Gelingens hinzuarbeiten
? und ihm dann seinen TATORT zu lassen.
Dr. Günter Struve
Programmdirektor Erstes Deutsches Fernsehen
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