Editorial
Ulrich Deppendorf, Bild: ARD |
Der Sonntag Abend ist bei vielen Millionen Menschen
in Deutschland für den TATORT reserviert. Wehe, es
ruft jemand an! Die Erwartungshaltung ist ebenso
eindeutig wie das Familien-Ritual: Beste Krimi-Unterhaltung
von und mit den besten deutschen Machern
und Mimen in einem realistischen Milieu.
Der TATORT, die erfolgreichste Krimi-Reihe des deutschen
Fernsehens überhaupt,hat in seiner 35-jährigen
Geschichte schon eine Menge Jubiläen gefeiert. Immer,
wenn ein neues Jahrzehnt anbrach,immer,wenn
ein weiteres Hundert voll wurde, ist zurecht gefeiert
und auch über den Erfolg dieses Formates räsoniert
worden.Der TATORT steht schließlich auch als ein Symbol
für die föderale Verfasstheit des Systems ARD:Das
ganze Publikum bedenken und erreichen und die Kraft
und die Identität der Beiträge aus der Region ziehen,
so lautet das Erfolgsrezept dieser Krimi-Reihe.
Dieser Text stammt aus der Jubiläumsbroschüre der ARD zum 600.ten TATORT von 2005 |
Die hohe Kreativität und Produktivität der Redaktionen,
der Produzenten und der TATORT-Teams selbst
hat allerdings dazu geführt, dass mittlerweile die Abstände
zwischen den ?Gedenktagen? immer kürzer geworden
ist. Brauchten wir für die ersten hundert
Krimis noch neun Jahre, so schafften wir die letzten
hundert in gerade einmal drei Jahren. Am 20.Mai 2002
lief der 500ste TATORT,am 5.Juni 2005 wird der 600ste
TATORT ?Scheherazade? gezeigt. Bei beiden Filmen
handelt es sich um Produktionen von Radio Bremen.
Die erneute Wahl eines Beitrages aus Bremen zeigt,
wie stark die Vielfalt des Format aus dem föderalen
Konzept schöpft und wie stark die Daseinsberechtigung
der ?kleinen? Anstalten neben den auch beim
TATORT dominierenden großen Sendern ist. Auch
wenn der TATORT vorrangig ein Ermittler-Krimi ist, so
brauchen wir solche aus dem Rahmen fallenden Ausnahmen
wie den Beitrag ?Scheherazade? unserer Bremer
Kollegen, die auch manchmal provozieren und so
das Genre lebendig, modern und zukunftsträchtig
gestalten.
Für die ständige Erneuerung und Erweiterung unseres
Konzeptes spricht auch, dass sich die zehn Rundfunkanstalten (alle neun Sender vom Ersten und der ORF)
inzwischen mit 15 Ermittlerteams am Tatort beteiligen.
Natürlich höre ich auch die warnenden Stimmen, die
da sagen: Weniger TATORT ist mehr, es darf keine
Inflation des Labels geben. Aber dagegen steht doch
eine wachsende Fan-Gemeinde, die nach wie vor ungebrochene
Publikumsresonanz und die beeindruckend
hohen Quoten.Die Gunst des Publikums hat
sich über die vielen Jahre ? natürlich mit Ausreißern
nach unten und oben ? konstant gehalten. Massive
Versuche der Konkurrenz, die Marktführerschaft des
Ersten mit dem TATORT am Sonntag Abend zu
knacken, sind bislang gescheitert.
Längst weiß der Zuschauer, dass der TATORT nicht nur
spannende Krimi-Unterhaltung ist, sondern dass er
unter diesem Dach sehr realitätsnahe Geschichten mit
sozialem Engagement finden kann, die bundesdeutsche
Alltagsprobleme oft differenzierter und pointierter
widerspiegeln als mancher andere Fernsehfilm.
Vor drei Jahren ? zum Jubiläum des 500sten TATORTs
? stellten wir die vier neuen Teams aus Hannover,
Frankfurt, Münster und Konstanz vor. Inzwischen ist
nun auch noch ein fünftes in Kiel dazu gekommen.
Natürlich geschah das auch mit der etwas bangen Erwartung,
ob so viele neue Ermittler auch die Gunst der
Zuschauer finden werden.Zumal mancher Kommissar
nur ein bis zweimal im Jahr die Gelegenheit hat,seine
Fälle zu lösen.
Die Etablierung der neuen Teams (und vor allem auch
die neuen Kommissarinnen!) hat sich als voller Erfolg
erwiesen. Alle Kommissarinnen und Kommissare haben
es sogleich in die Charts geschafft. Die Zuschauer
scheinen aufgeschlossener zu sein, als viele glauben
wollen. Spannende, wirklichkeitsnahe und selbst
extreme Geschichten mit nachvollziehbaren Charakteren
haben offensichtlich immer öfter eine Chance
bei unserem treuen und auf den Sonntag-Abend
gespannten Publikum.
Ulrich Deppendorf
ARD-Koordinator Fernsehfilm
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