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Ohnmacht
Das nächste Bravourstück
Es ist spät am Abend. Currywurst gibt's schon keine mehr bei der "Wurstbraterei". Hauptkommissar Ballauf verabschiedet sich also von seinem Kollegen Schenk, nimmt sich noch ein Bier mit und macht sich auf zur U-Bahn. Dort nehmen die dramatischen Ereignisse dieser Nacht ihren Lauf. Es geht im neuen Kölner TATORT zunächst um eine brutale Prügelei im U-Bahnhof, bei der ein junger Mann schwer verletzt wird. Die potenziellen Täter sind bald schon gefunden.
Freddy Schenk kümmert sich um seinen Freund und Kollegen. © WDR / Uwe Stratmann |
Doch dann geht die Geschichte neue Wege - tief hinein in auf den ersten Blick biedere, gewöhnliche Familien. Tief hinein in das Seelenleben Heranwachsender und das ihrer Eltern. Ohnmacht heißt der Film, und man muss ihn bis zum Ende sehen - bis ganz zum Ende, um zu begreifen, wie treffend der Titel gewählt ist ...
Ballauf greift natürlich ein. Er wird Zeuge, wie zwei Jugendliche auf einen am Boden liegenden Mann einprügeln und nicht von ihm ablassen. Das Opfer ist der Musikstudent Manuel Sievers. Ballauf geht dazwischen, und schon trifft ihn ein Faustschlag, der ihn zu Boden streckt. Es gelingt ihm, sich mühsam aufzurappeln, da stößt ihn eine Hand hinab in den U-Bahn-Schacht. Der Zug naht, der Fahrer zieht geistesgegenwärtig sofort die Bremse. Ballauf legt sich mittig geistesgegenwärtig auf die Gleise, blickt in die sich schnell nähernden Lichter. Funken sprühen. Die Bahn kommt zum Stillstand, der Fahrer springt in Panik heraus, schaut vor den ersten Wagen hinab in den Schacht. Vom Menschen, der dort lag, ist nichts mehr zu sehen. Ein grandios gefilmter Einstieg in diesen ganz besonderen Krimi ...
Janine Bertram und Kai Göhden betreten die U-Bahn-Station. © WDR / Uwe Stratmann |
Wer würde abstreiten, dass manche TATORT-Teams mit den Jahren etwas an Glanz, an Reiz verlieren? Dass dann die Geschichten dünner werden, dass das Zusammenspiel der Ermittler zu langweilen beginnt. In der Regel werden dann private Nebenschauplätze eröffnet, die das Interesse der Zuschauer an den Teams irgendwie wachhalten sollen. In Köln ist das alles anders: Sicher, es gab in der Vergangenheit auch einige sehr gewöhnliche Fälle. Oder aber bemüht wirkende "Themenkrimis", in denen es um Blutdiamanten, Tretminen oder die Müllmafia ging. Zuletzt jedoch hat der WDR mit Franziska und Der Fall Reinhardt zwei Filme abgeliefert, die brillant inszeniert waren, mit Konventionen brachen und unter die Haut gingen. Der Lohn: Knapp 11,3 Millionen Zuschauer im März. Und nun kommt mit Ohnmacht schon wieder so ein Bravourstück. Ganz anders als die beiden Vorgänger, aber nicht minder bewegend.
Es dauert nicht lang, da sind die jugendlichen Täter gefunden. Kai Göhden und Janine Bertram waren es. Beide keineswegs unbeschriebene Blätter. Doch sie gestehen keine Schuld. Im Gegenteil: Es habe sich, sagen sie, um Notwehr gehandelt. Weil der Musikstudent Sievers das Mädchen sexuell belästigt habe. Dann habe ihr Freund Kai Göhden eingegriffen und es sei eben zu der Schlägerei gekommen.
Familienvater Gerolf Bertram ist machtlos: Seine Tochter Janine geht ihre eigenen Wege. © WDR / Uwe Stratmann |
Die Wahrnehmung, die der Zuschauer hatte, der ja durch die Augen Ballaufs zu Beginn Zeuge der Ereignisse des gewaltsamen Übergriffs wurde, war fraglos eine andere. Aber: Göhden, der sich nun gar keine Mühe gibt, nicht widerlich zu wirken, weist noch daraufhin, dass Ballauf schließlich ein Bier in der Hand gehabt habe, vermutlich also alkoholisiert war. Es sieht plötzlich nicht gut aus für den Hauptkommissar, dessen Zivilcourage ihm zum Verhängnis werden könnte.
Eine Weile lang scheint es so, als ziele der Film von Regisseur Thomas Jauch vor allem auf das im Fernsehen zu Recht so populäre Thema "Zivilcourage" ab. Schließlich standen dort unten am Bahnsteig noch eine Reihe weiterer Zeugen, die einfach nur wegschauten, als es zur Auseinandersetzung kam. Dann aber wendet sich das Drehbuch von Andreas Knaup anderen Fragen zu: Es geht um die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen, um die Erziehung, um Verantwortung, um Macht und Machtlosigkeit. Wohl gemerkt hier nicht in den meist in diesem Zusammenhang beschriebenen unteren sozialen Schichten. Hier stammen die Täter sogar aus gut betuchten Familien. Immer mehr rücken die Eltern in den Mittelpunkt der Ereignisse. Sie haben den Zugang zu ihren Kindern verloren und sich mit ihrem Scheitern arrangiert.
Bis in die kleinste Nebenrolle hinein ist dieser TATORT mit unverbrauchten Darstellern überragend besetzt. Allen voran sei Felix von Manteuffel genannt, der den Vater der Täterin Janine Bertram spielt. Das Buch gewährt ihm einzigartige Szenen, bewegende Monologe und ein kaum fassbares Finale: herausragend - wie so vieles bei diesem wieder einmal starken, höchst relevanten TATORT aus Köln.
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