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Gegen den Kopf
Clockwork Kreuzberg - Sterben für eine Lappalie
Zufallsbrutalität, ein Thema, das Menschen ratlos werden lässt. Keine leichte Aufgabe für die sonntägliche Abendunterhaltung. Der Grimme-Preisträger Stephan Wagner wagt sich an das schwierige Thema: Gewalt im öffentlichen Raum. Für den neuen Tatort, ?Gegen den Kopf?, war er unisono für Drehbuch und Regie verantwortlich, das hat sich ausgezahlt. Dicht, intensiv und glaubwürdig ? ein Ausnahmetatort über ?Urangst?.
Der 38-jährige Mark Haessler wird auf dem U-Bahnsteig Schönleinstraße in Berlin-Kreuzberg tot aufgefunden ? offenbar totgeprügelt von zwei flüchtigen Jugendlichen. Bild: rbb/Frédéric Batier |
33 Sekunden, das ist die Zeitspanne, in der zwei Jugendliche unbehelligt auf dem U-Bahnhof Schönleinstr., in Berlin-Kreuzberg, den 38-jährigen Mark Haessler, so brutal verprügeln, dass dieser wenig später stirbt. 33 Sekunden, eine lange Zeit, an einem öffentlichen Ort voller Menschen, die nicht ins Geschehen eingreifen - Hilfe unterlassen.
?Zu meiner Zeit hat man aufgehört, wenn ein Mensch am Boden lag.? (Ritter)
Der Fall Haessler, bereitet den eingespielten Hauptkommissaren aus Berlin, Till Ritter und Felix Stark, ganz besondere Probleme, der öffentliche und mediale Druck ist enorm ? hat es doch bereits mehrere Schwerverletzte in U- und S-Bahnen gegeben. Nicht zuletzt deshalb gewährt die Chefin der Mordkommission Ihnen einem Team von Spezialisten, um zügig zu Ergebnissen zu gelangen. An Zeugen und Beweismaterial des fatalen Vorfalls herrscht kein Mangel und bald sind die mutmaßlichen Täter identifiziert: Konstantin Auerbach und sein Freund Achim belasten sich gegenseitig.
Im Hauptquartier der Ermittlungsarbeit: Goede, Ritter, Gutsche, Stark und Schott. Bild: rbb/Frédéric Batier |
?So wurde noch kein Tatort erzählt? (Dominic Raacke)
Die dringend Tatverdächtigen sind schnell gefasst, aber die Fragen bleiben und das Puzzlespiel kann beginnen. Wie im traurigen Fall Jonny K. lautet die Frage: Wer ist der Hauptverdächtige, wer hat zugeschlagen? War es das verwöhnte und vernachlässigte Unternehmerkind aus dem Berliner Westend ?Konz?, oder doch der bereits vorbestrafte Berufsschüler Achim Wozniak? Eine ungewöhnliche Erzählstruktur, rasante Bilder, und hervorragende Schauspieler (besonders Schürmann und Hasanovic) hauchen dem klassischen Police Procedural und der Darstellung detailgetreuer Polizeiarbeit das Leben ein.
?Recht auf das eigene Bild ? oder wie das heißt.? (Achim Wozniak)
Die Berliner TatortmacherInnen bleiben ihrem Kurs treu, soziale und politisch relevante Themen in ihre Fallgeschichten einzubauen. Abhöraffäre, Datenschutz und Gewalt im öffentlichen Raum ? alles relevante Themen im aktuellen Wahlkampf. In ?Gegen den Kopf?, bohrt sich die mühsame und kleinteilige Polizeiarbeit jedenfalls gleichermaßen tief in die Privatsphäre der Opfer, Täter und Zeugen, lässt aber auch die Ermittler nicht kalt. (?Ick glaub ick werd zu alt?, Lutz Weber) Der Aufklärungsdruck billigt keine Privatsphäre und keinen Aufschub. Tempo ist angesagt. Mobilfunknetze, Verkehr- und Sicherheitskameras sowie private Computer ergeben ein effizientes Netz der Überwachungsmöglichkeiten, das ausgewertet werden will. Eine perfekte Technik die alles dokumentiert, nichts vergisst und der traditionellen Verhörarbeit und ewig fehlbaren Zeugenaussagen gegenüber steht.
Kriminaldirektorin Michaela Wilmes lässt sich von den Kommissaren Neuigkeiten berichten. Bild: rbb/Frédéric Batier |
?Fröhliche Frauen aus dem Ausland ? So Fidschis eben? (Zeuge)
Und doch wird dieses kleine Lehrstück über das digitale Paralleluniversum, über Provider, GPS-Anfragen und Cloud-Verschiebungen nicht langweilig. Die vielen ruhigen Verhörszenen, gefilmt in Halbnähe, ähneln einem Kammerspiel und kontrastieren wohltuend die schnelle Welt ?da draußen?. Mal vergnüglich, meist bedrückend spiegelt sich in den Antworten von Zeugen die ganze Bandbreite an verhinderter Zivilcourage. Dabei umschifft Stephan Wagner souverän Klischees und moralische Verurteilung.
?Wir wollten halt bei den Siegern sein? (Wozniak)
Die minutiös auf Fakten und Technik basierte Rekonstruktion der Tat entlarvt schlussendlich den waren Täter, bietet aber eigentlich nur einen Rahmen für das Finale: Den letztlich unerklärlichen und überaus verstörenden Gewaltausbruch. Ja - der gemütliche TATORT-Gucker bekommt eine Art Lösung präsentiert, allerdings eine unbequeme, denn: ?Es gibt keinen Grund?, so der Täter.
?Gute Unterhaltung und dass sein Film ein wenig nachwirkt?, das hat sich Stephan Wagner für den TATORT beim öffentlichen Vorab-Screening am Berliner Gleisdreck gewünscht. Verdient hätte er es. Unbedingt einschalten!
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