Mich hat die Geschichte hinter der Krimi-Geschichte gereizt. Während es auf der ersten Ebene um die Jagd auf einen Mörder geht, geht es auf der Meta-Ebene, der zweiten Ebene der Geschichte, um die Bedeutung des Schauens und Beobachtens in unserer heutigen Mediengesellschaft. So wird ein Unglück heute erst dann als richtig real empfunden, wenn Bilder davon existieren und herumgeschickt werden. Auch früher schon sind Gaffer an Unglücksorte geeilt und haben sich nach vorne gedrängelt. Heute kommt noch das Filmen und Fotografieren dazu, sodass uns Geschehnisse oft erst dann als bedeutungsvoll erscheinen, wenn sie im Bild festgehalten und gebannt sind.
Haben Sie ein Grundkonzept, eine Grundhaltung, mit der Sie an die Arbeit gehen?
Ich finde es immer toll, eine Geschichte hinter der Geschichte zu erzählen. Ich steige zunächst damit ein, dass die Polizei offenbar einen Serienmörder sucht. Ich lenke also die Aufmerksamkeit der Zuschauer zunächst in diese Richtung. Später lasse ich die Ermittler herausfinden, dass bei dieser Mordserie eine Form von modernem Voyeurismus im Spiel ist ? gerade eine solche Doppelbödigkeit der Handlung macht in meinen Augen einen spannenden Krimi aus.
In Ihrem Niedersachsen-?TATORT? geht es nicht zuletzt um die menschliche Schaulust und Neugier. Möchten Sie zeigen, dass diese Schaulust auch arglose Menschen zu Schuldigen machen kann?
Auf jeden Fall. Täter müssen nicht abgrundtief böse Charaktere sein, und die Rollen von Tätern und Opfern können verschwimmen.
Gibt es Krimi-Autoren oder Krimi-Autorinnen, die Sie als Vorbilder verehren?
Besonders schätze ich die britische Krimi-Autorin Ruth Rendell, bei deren Krimis die Psychologie der Figuren sehr stimmig angelegt ist. Etwas subtiler als in Hitchcocks Hollywood-Klassiker ?Psycho? mit der gespaltenen Persönlichkeit des Motelbesitzers Norman Bates darf es schon sein.
Gibt es TV-Krimis, die Sie regelmäßig sehen und bei denen Sie selbst mitfiebern?
Den ?TATORT? sehe ich eigentlich immer ? und das sage ich jetzt nicht, um mich für diesen Drehbuch-Auftrag zu bedanken. Und die Film- und Buchklassiker der ?Schwarzen Serie? wie etwa die Philip-Marlowe-Krimis von Raymond Chandler führe ich mir immer wieder zu Gemüte.
Die meisten TV-Serien sind Krimis, und auch in den Buchhandlungen stehen ganze Regale ausschließlich voller Krimis. Warum ist dieses Genre so unverwüstlich?
Darüber zerbrechen sich die Experten schon lange die Köpfe. Ich als Autorin favorisiere den Krimi, weil er einerseits Unterhaltung bietet und andererseits im besten Fall auch große Stücke der Realität abbilden kann ? ohne mit dem moralisierenden Zeigefinger oder dem Holzhammer daherzukommen.
Ein Kritiker schrieb, in Ihren Krimis gehe es nicht um die Frage: Wer hat Schuld? Ihre Frage laute vielmehr: Was macht die Schuld aus einem Menschen? Trifft dies auch auf Ihren ?TATORT? zu?
Unbedingt. Der Zuschauer soll verstehen, warum der Täter zum Täter wird, und ich als Autorin möchte meinem Täter einen nachvollziehbaren Grund für sein Handeln geben.
Mit Ihren Kriminalromanen haben Sie Kritiker wie Leser begeistert. So lobte die ?Welt am Sonntag?, Sie schrieben ?die intelligentesten Kriminalromane, die derzeit in Deutschland geschrieben werden.? Ist es für Sie ein Unterschied, ob Sie einen Roman oder einen ?TATORT? schreiben?
Beim Entwickeln der Story gibt es keine Unterschiede. Da ich es aber liebe, Dialoge zu schreiben, kann ich mich im Drehbuch in dieser Hinsicht mehr austoben. Zudem ist das Drehbuchschreiben in einen Arbeitsprozess eingebunden, bei dem Teamarbeit eine große Rolle spielt ? für mich ein großes Vergnügen.
Sie haben Psychologie studiert und in verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen gearbeitet. Welchen Einfluss hatten diese Erfahrungen auf Sie als Autorin?
Wenn ich in einer psychiatrischen Einrichtung arbeite, kann ich sehr genau studieren, wie Menschen miteinander kommunizieren. Ich kann beobachten, wie sie sich unter bestimmten Symptomen oder unter einem Leidensdruck verhalten. Dies hilft mir dabei, auch normale Menschen besser zu verstehen. Zudem lerne ich hier, letztlich jeden Menschen zu respektieren, auch wenn er scheinbar einen Tick hat.
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