Der neue TATORT aus Bremen wartet mit einem Sendetitel auf, den der Film nur unzureichend erklärt und zugleich zweckentfremdet - und das offensichtlich nur wegen eines kleinen Gags. Nicht mal Pommes-Komik-König Dieter "Didi" Hallervorden würde darüber lachen.
Laut der Internet-Enzyklopädie Wikipedia ist die Familienaufstellung "eine Form der Systemaufstellung innerhalb der Systemischen Beratung." Die Systemaufstellungen dienen dazu, die Gefühle und Verhaltensweisen von Familienmitgliedern zu erkennen und damit krankmachende familiäre Verstrickungen zu behandeln. Weiter heißt es in Wikipedia, dass "nach Ansicht des Gedankens von Aufstellungen allgemein die ?gestellten Personen? die Gefühle und Verhaltensweisen der ?echten? - in diesem Fall Familienmitglieder - "übernehmen" können (sollen), damit die systemisch-phänomenologische Aufstellungsarbeit in diesem Rahmen ansetzen kann."
In der Praxis sieht dies so aus: eine Gruppe trifft sich mit einem Therapeuten und stellt die Familie jedes Gruppenmitglieds auf, um sein Problem zu thematisieren. Die anderen Mitglieder werden zu Aufgestellten und übernehmen unterschiedliche Rollen, beispielsweise den Vater, den Bruder oder den Onkel usw.
Die Aufgestellten würden so zu Angehörigen des Klienten, des "Aufstellenden", und können im strukturierten Raum der Wahrnehmungen gleichsam "psychisch" Anwesende werden, auch die Gefühle und Verhaltensweisen der ?echten? Familienmitglieder übernehmen.
Familienaufstellungen sind nicht unumstritten und werden teilweise scharf kritisiert. Bei den Beteiligten könne es zu heftigen seelischen Erschütterungen kommen, zu tiefer Verunsicherung bis hin zu Suizidgedanken. Laut Wikipedia bemängeln Kritiker weiterhin, dass häufig eine klare Diagnostik oder Interventionslehre fehlen würde, die doch Kennzeichen herkömmlicher Therapien seien.
Auch Nils Stedefreund weiß plözlich, was Mann mit einer Pommes noch so machen kann. Bild: Radio Bremen |
Zur Lachnummer degradiert
Der Bremer TATORT, der diesen Titel trägt, erklärt den Begriff kaum. Zugleich wird die Familienaufstellung, die von Psychologen und Psychoanalytikern geleitet werden sollte, in dem Film dadurch zu einer Lachnummer degradiert, da es die Polizistin Inga Lürsen ist, die diese flugs mal durchführt. Ganz selbstverständlich, so als wäre es eine ganz normale Ermittlungsmethode, fragt Lürsen ihren Kollegen Stedefreund in der 43. Minute "Sollen wir mal eine Familienaufstellung machen?", was Kollege Stedefreund mit einer Bratwurst im Mund eher desinteressiert bejaht.
Und so stellt die Polizistin in der Kantine auf einem Kantinentablett mit frischen Pommes frites die Familienmitglieder des Türken-Clans auf, in dessen Reihe ein Mord geschah. Das erste Kartoffelstäbchen wird so zum "Ehemann der Toten, mit einer Vorliebe für türkische Lebensart, der durch eine Scheidung finanziell ruiniert wäre". Die nächste Pommes wird von Stedefreund aufgestellt und ist die verliebte Anwältin; alle anderen Familienmitglieder werden nicht mehr weiter charakterisiert: "Bruder, Bruder, Schwester, Bräutigam". Fertig ist die Familienaufstellung, wobei die vielen, mehr als 300 verwandten Türken aus der fernen Türkei nicht mehr aufs Tablett passen und auf dem Teller der Kommissarin bleiben müssen; ein früher dramaturgischer Hinweis darauf, dass den Mord keiner von ihnen verübt haben kann.... Nach und nach symbolisieren die Pommes jedes Familienmitglied, welche sich Lürsen allesamt gut als Pommes...äh...Mörder vorstellen kann.
Paul hält sich an den Pommes schadlos - vermutlich waren das der Bruder und der Bräutigam. Bild: Radio Bremen |
Eine Mogelpackung
Die Szene selbst - eher eine dramaturgisch notwendige Rekapitulation der bisherigen Situation für den Zuschauer - entbehrt nicht einer gewissen Unterhaltsamkeit und auch Komik. Dem Psycho-Begriff der Familienaufstellung wird sie selbstmurmelnd nicht gerecht, denn die als Aufgestellten mißbrauchten Pommes frites sind statisch und zeigen nichts über die Beziehungen der Familienmitglieder (untereinander). Die Fernseh-"Familienaufstellung" ist somit nichts anderes als eine Charakterisierung der Figuren und ihrer möglichen Motive - wenn überhaupt; die "Familienaufstellung" ist letztlich nichts anderes als eine Mogelpackung.
Ein Hund für den Gag
Und so ist es Paul, der kleine Hund an Lürsens und Karlsens Seite, der die Familienaufstellung schließlich behindert und auflöst. Gemeinhin werden Tiere und Kinder immer dann beim Film eingesetzt, wenn ein Lacher folgen soll. Als der verfressene Vierbeiner nach und nach eine Pommes frites vom Küchentablett der Bremer Kommissarin stibitzt, gerät die Szene vollends zur Lachnummer. Lürsens trockene Reaktion: "Oh nein, Paul! Jetzt hast du unsere Tatverdächtigen gefressen!"
Auch der ursprüngliche Arbeitstitel für diesen TATORT aus Bremen - er lautete "Feuerstelle" - wird im Film nicht wirklich klar. Es kann nur eine Folge genau dieses Umstands sein, dass sich der Bremer Sender schließlich für einen anderen Sendetitel entschieden hat - vom Regen in die Traufe.
Francois Werner