Familienaufstellung
"Wir wollen die Zerrissenheiten in der so genannten 'zweiten Generation' zeigen"
Interview mit Drehbuchautorin Thea Dorn
Frau Dorn, wie lange haben sie an dem Drehbuch des Radio Bremen-TATORTs "Familienaufstellung" gearbeitet?
Thea Dorn, Bild: SWR/ Schweigert |
Seyran Ates hatte mich schon lange mit der Idee bestürmt, zusammen einen TATORT zu schreiben. Im Herbst 2005 konnte ich endlich absehen, dass ich Zeit haben werde. Zunächst waren wir recherchehalber viel in Berlin unterwegs; sie hat mich u.a. zu traditionellen türkischen Hochzeiten und Hennanächten mitgenommen. Die eigentliche Schreibarbeit dauerte dann von Sommer 2006 bis zum Beginn der Dreharbeiten im November 2007.
Worin lag für Sie die besondere Herausforderung?
Ich musste mich in eine Welt hineinversetzen, die mir fremd war. Aber genau darin liegt für mich eine der Hauptfaszinationen des Berufs Schriftstellerin: Dass ich bei meinen Recherchen mit Personen, mit Milieus in Berührung komme, die meinen eigenen Horizont überschreiten.
Warum steht ausgerechnet eine türkische Großfamilie im Mittelpunkt von "Familienaufstellung"?
Mich beschäftigt das Thema, wie in unserer Gesellschaft die Männer- und Frauenrollen definiert werden, schon seit längerem. Nachdem ich die Bücher von Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek oder eben Seyran Ates gelesen hatte, wurde mir klar, dass es borniert und feige ist, lediglich zu kritisieren, an welchen Stellen in der Mehrheitsgesellschaft Frauen nach wie vor diskriminiert werden. Ich halte es nur vordergründig für ein Zeichen von Toleranz, jene frauenverachtenden Haltungen und Praktiken, die in der muslimischen Community verbreitet sind, von der Kritik auszunehmen, nach dem Motto: "Jede Kultur soll so leben, wie sie es gewohnt ist." In Wahrheit verbirgt sich dahinter eine subtile Form von Herablassung und Ignoranz.
Die Eltern des Opfers begegnen den Kommissaren mit Argwohn, Bild: Radio Bremen |
Frau Dorn, Sie sind dafür bekannt, Tabuthemen aufzugreifen und zu provozieren. Welche Absicht verfolgen Sie mit dem TATORT "Familienaufstellung"?
Letzten Endes geht es in allen meinen Texten um das Individuum und seinen Kampf um Freiheit. Als Schriftstellerin mit Hang zu tragischen, dunklen Geschichten habe ich ein Bewusstsein davon, dass der Kampf hart ist, und dass die Gefahren des Scheiterns gewaltig sind. Als Philosophin, die sich dem Geist der Aufklärung verbunden fühlt, bin ich überzeugt, dass der Kampf um Freiheit der nobelste ist, den ein menschliches Individuum kämpfen kann.
Ist es ihr Ziel, mit "Familienaufstellung" Kontroversen auszulösen?
Uns war es sehr wichtig, dass "unsere" "türkische" Familie keine sozial deklassierte ist, sondern es im Gegenteil zu großem Wohlstand gebracht hat. Wir wollen darauf hinweisen, dass es sich diejenigen zu einfach machen, die religiös-kulturellen Dogmatismus nur für ein Problem der unteren Schichten halten. Und wir wollen die Zerrissenheiten in der so genannten "zweiten Generation" zeigen, also bei den in Deutschland geborenen Töchtern und Söhnen der Migranten, die besonders gefährdet sind, zwischen türkisch-muslimischer Familientradition und westlicher Moderne zerrieben zu werden. Vielleicht würden manche lieber ein optimistischeres Bild sehen. Aber dann sollen sie sich keinen TATORT anschauen.
Frau Dorn, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anna Tollkötter, Radio Bremen
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