"Was mich an einer Geschichte am meisten interessiert, sind immer die Figuren"
Interview mit Christiane Balthasar
In diesem TATORT-Fall steht das Wendland im Mittelpunkt.
Wie haben Sie diese Gegend in Szene gesetzt?
Charlotte Lindholm am Unfallort von Kasper, Bild: NDR/Nik Konietzny/Carles Carabi Negueruela |
Das Wendland ? insbesondere Gorleben ? ist im Geiste der
Öffentlichkeit geprägt durch seine fragwürdige Bedeutung
als geplantes atomares Endlager. Andererseits ist es ein
Landstrich an der ehemaligen Deutsch-Deutschen Grenze,
der mittlerweile ein beeindruckendes Biosphärenreservat
ist. Diese schizophrene Situation haben wir versucht, in
unserer Geschichte mitlaufen zu lassen.
Die Anlagen der Betreibergesellschaft haben die Ästhetik
eines Hochsicherheitstrakts. Haben Sie an Ort und Stelle
gedreht oder mussten Sie nach entsprechenden Motiven
suchen?
Wir haben an Ort und Stelle gedreht. Alle beteiligten
Institutionen waren sehr kooperativ.
Die Spannung, die Sie erzeugen, baut sich zunächst
eher atmosphärisch auf: als Klima der Überwachung, der
latenten Bedrohung, als diffuses Gefühl der Verschwörung.
Welche Überlegungen liegen dem zugrunde?
So etwas ergibt sich immer aus der Frage:Was möchte
die Geschichte? Und dann entwickelt es sich im Zusammenspiel
mit dem Kameramann und natürlich den
Schauspielern.
Wie wichtig war die Musik in diesem Zusammenhang
für Sie?
Sie ist meines Erachtens immer ein sehr wichtiger Teil der
Erzählung. In diesem Fall verwischen die Grenzen zwischen
Sounddesign und Musik ? ein Stilmittel, das ich sehr gerne
mag. Es macht für die Stimmung sehr viel aus.
Sandmann, Kasper, Polizist Halder: Die Figuren werden
interessant durch das intensive Spiel der Schauspieler.
Sie schillern, wirken rätselhaft, wie Getriebene. Wie haben
Sie gearbeitet?
Wenn das so wirkt, ist es gelungen. Jenseits des roten
Fadens der Dramaturgie ist meiner Meinung nach eines
der wichtigsten Kriterien für eine gute Geschichte die
Erarbeitung der Figuren: Sind sie nachvollziehbar und
erzählenswert?! Das ist für mich als Regisseurin auch einer
der spannendsten Arbeitsschritte: die Ecken und Winkel
einer Figur mit dem Schauspieler auszuloten.
Charlotte Lindholm und ihr Sohn David, Bild: NDR/Nik Konietzny/Carles Carabi Negueruela |
Kommissarin Lindholm wird häufig von Flashs heimgesucht,
dargestellt in kurzen, verdichteten Rückblenden,
die fast traumhaft wirken.
Ein stilistisches Mittel, welches in diesem Falle meiner
Meinung nach sehr angebracht war. Eindrücke, die im
Unterbewussten brodeln und dann dem empfundenen
Moment das Quäntchen Gewissheit geben.
Die Dreharbeiten führten Sie aus der niedersächsischen
Provinz ins turbulente Barcelona ...
Nach dem letzten Niedersachsen-TATORT "Erntedank e.V."
im Schrebergartenmilieu war das ein abwechslungsreicher
Kontrast für das Format. Die Zusammenarbeit mit den
spanischen Kollegen in Barcelona war sehr schön. Überraschenderweise
hatten wir große Probleme aufgrund
außergewöhnlich starker Regenfälle.
Die Story stellt auch in dramaturgischer Hinsicht eine
Herausforderung dar: Der Provinzfall erhält eine internationale
Dimension, kehrt aber nach einem dramatischen
Showdown zurück und erzählt das Ende als private
Tragödie eines Paares.Wie kriegt man da die Kurve?
Genau dieser Aspekt war faszinierend für die Geschichte:
Ein scheinbarer Routinefall wächst der Kommissarin
über den Kopf hinaus, um dann wieder in schlichte,
menschliche Grenzen zurück zu schrumpfen. Charlotte
Lindholm gerät quasi ungewollt in unkontrollierbare,
internationale Gefilde, die sie dann wieder auf ihren Fall zurück werfen.
Und alles ist miteinander auf tragische Weise verknüpft. Fast wie im richtigen Leben.
Wie ist es, als Regisseurin mit einer Figur umzugehen, die
so ein ausgeprägtes Vorleben hat?
Dadurch, dass ich schon zuvor zwei Niedersachsen-TATORTe
gedreht hatte, fühlte ich mich nicht gänzlich außen vor. ?
Unabhängig davon hat man mit Maria Furtwängler eine
Partnerin, die mit ganzer Kraft genau auf dieses große
Ganze achtet.
Ist es nicht eine große Herausforderung, die Fallgeschichte
mit den privaten Szenen überzeugend zu verknüpfen?
Das ist selbstverständlich immer ein Eiertanz.
Die TATORT-Reihe steht für Geschichten, in denen über
Persönliches, im besten Fall etwas über die Verfassung
unserer Gesellschaft, miterzählt wird.Welches Potential
sehen Sie in der Reihe?
TATORTe behandeln manchmal allgemeingültige Fälle wie
Liebe, Eifersucht und Portokosten, manchmal auch sehr am
Zeitgeist orientierte Probleme. In dieser Folge ist es eine
seltsame Mischung aus beidem.
Gibt es Themen, die Sie gerne einmal anpacken würden?
Wenn die Charaktere interessant gestrickt sind, gibt es
einige Themen, die ich spannend finde.Was mich an einer
Geschichte am meisten interessiert, sind immer die
Figuren.
NDR-Pressemappe
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