"Es gibt in dem ganzen Film nur eine Szene ohne Cenk Batu. Das ist schon fast voyeuristisch"
Gespräch mit Regisseur Richard Huber
Tuncay Nezrem pöbelt in einem Lokal. Cenk Baut versucht ihn zu beruhigen, Bild: NDR/Georges Pauly |
Herr Huber, der TATORT "Auf der Sonnenseite" ist der
Auftakt zum neuen Hamburger TATORT mit Cenk Batu.
Was zeichnet diese Figur in Ihren Augen besonders aus?
Ihre Einzigartigkeit, ihre Vielseitigkeit, das Chamäleonhafte
eines Grenzgängers zwischen den Welten. Egal, wo Cenk
Batu sich gerade aufhält, dort ist auch der Tatort.
Cenk Batu und Uwe Kohnau verkörpern sehr unterschiedliche
Temperamente ? worin liegt für Sie das Potenzial
dieser Figurenkonstellation?
In eben diesen Unterschieden, kein Cenk ohne Uwe. Sie bearbeiten
denselben Fall, aber aus völlig unterschiedlichen
Ansätzen heraus. Uwe plant laut Dienstvorschriften und
geht um 18 Uhr nach Hause und Cenk muss sich rund um
die Uhr mit dem Unvorhergesehenen auseinandersetzen.
Sie sind abhängig voneinander und sehr vertraut. Uwe ist
Cenks Lebensversicherung und einziger Dauerkontakt zur
?normalen? Welt. Aber, bei aller Vertrautheit, Freunde sind
sie nicht.
Wie haben Sie die Arbeit mit den Darstellern erlebt?
Haben die beiden schnell zueinander gefunden?
Wir haben am ersten Drehtag bewusst nur Szenen mit Uwe
und Cenk gedreht, um zu sehen, wie und ob dieses Rückgrat
funktioniert, und sofort haben sich diese Gradheit,
Beiläufigkeit und Vertrautheit eingestellt. Im Vorfeld hatten
wir das Buch zwar gemeinsam gelesen und durchgesprochen,
aber das sind dann oft Lippenbekenntnisse. Nicht
in diesem Fall: Gleich am ersten Drehtag auf diesem Parkdeck
standen sofort Cenk Batu und Uwe Kohnau. Danke
Mehmet, danke Peter!
Wo wollten Sie als Regisseur besondere, eigene Akzente
setzen?
Durch eine konsequente Nähe zu Cenk Batu. Wir wissen
nie mehr als er, sehen den gesamten Film durch seine Perspektive,
wir begleiten ihn und nur ihn. Mich hat immer
auch interessiert: Was macht ein verdeckter Ermittler, wenn
er nicht ermittelt? Es gibt in dem ganzen Film nur eine
Szene ohne Cenk Batu. Das ist schon fast voyeuristisch. So
etwas geht natürlich nur mit einem starken Darsteller, der
das auch aushält und trägt. Von der filmischen Erzählweise
her war es mir darüber hinaus wichtig, nicht immer alles
haarklein zu erklären. Das sagt oft mehr über den Film
aus als über die Realität, die der Film herstellen will. Der
Zuschauer muss nicht immer alles und zu jedem Zeitpunkt
wissen, manches muss oder kann gar nicht erklärt werden.
Wie im Leben. Und es macht trotzdem Sinn.
Richard Huber (re.) am Set von "Auf der Sonnenseite", Bild: NDR/Georges Pauly |
Wie wirkt sich diese Verknappung formal aus?
Formal haben wir versucht, eine Beiläufigkeit herzustellen
durch ?Weniger ist mehr?. Weniger Informationen, weniger
Behauptung und eine klare, entschiedene und intime Bildersprache.
Kameramann Martin Langer hat mit seinen Bildern
all diese Ziele erst ermöglicht und dem Film seine ? für
mich große ? Dimension gegeben. Seine Arbeit kann ich gar
nicht hoch genug bewerten. Großartig. Das ist eine Fotografie,
die über den normalen Rahmen weit hinausgeht.
Wie hilfreich war der Humor, den die Autoren ins Buch
einbringen?
Sehr hilfreich. Der Humor schwingt leise zwischen Cenk
und Uwe, und dieser Ton vermittelt immer ein Gefühl von
Vertrautheit und das war genau das, was ich gesucht habe.
Für den Zuschauer bieten diese Momente die Möglichkeit,
durchzuatmen und damit eher bereit zu sein für die starken
emotionalen Momente.
Über die Arbeit von verdeckten Ermittlern wird öffentlich
normalerweise wenig bekannt. Wie haben Sie sichergestellt,
dass ein gewisser Realismus gewahrt bleibt?
Gab es fachliche Berater?
Ja, im Vorfeld und bei der Bucharbeit gab es eine kontinuierliche
Fachberatung, eben um diesen Realismus zu wahren.
Ich selbst habe mich dann ?eingelesen?. Ich hab schlicht
und einfach ausgiebig in Leitfäden gelesen, um zu sehen,
was geht und was nicht und wer eigentlich wo welches
Sagen hat. Uwe Kohnau ist der Boss von Cenk Batu. Punkt.
Da gibt es eine klare Hierarchie, die eingehalten werden
muss. Aber im Grunde ist dieses Lesen für mich nur ein
Werkzeug unter vielen. Wir haben uns ein, zwei Mal in Details
über fachliche Realitäten hinweggesetzt, ganz bewusst
und immer mit dem richtigen Hinweis von Uwe Kohnau
darauf, dass man das eigentlich nicht machen darf.
Die Begegnungen zwischen Batu und seiner Nachbarin
Anja sind wenig romantisch. Hier zeigt sich, wie hoch
der Preis ist, den er privat für seinen Job zahlt. Patrycia
Ziolkowskas Spiel macht aber neugierig auf mehr ...
Stimmt, der Preis ist hoch, aber niemand hat Cenk Batu gezwungen,
diesen Job anzunehmen. Aber ich empfinde diese
kurzen Begegnungen als sogar sehr romantisch. Da schwingt
Verheißung und Versagung mit. Passiert ist da noch nichts,
da liegt etwas unausgesprochen in der Luft und das soll
neugierig auf mehr machen. Und Patrycia Ziolkowsksa
trägt das wunderbar in den wenigen Momenten ? ohne
auch nur eine Information von Anja preiszugeben.
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