"Cenk Batu geht da hin, wo Kriminalität wirklich stattfindet"
Gespräch mit Christoph Silber und Thorsten Wettcke
Uwe Kohnau vertraut Cenk Batu einen neuen Fall an, Bild: NDR/Georges Pauly |
Mit Cenk Batu ist eine völlig neue, sehr mitreißende und
ungewöhnliche Kommissarsfigur entstanden. Nach der
Grundkonzeption der NDR-Fernsehfilmredaktion sollte
der neue Kommissar u.a. ein ?verdeckter Ermittler? sein.
Was war Ihr persönlicher Ehrgeiz dabei?
Christoph Silber: Unser Cenk Batu entstand in enger kreativer
Zusammenarbeit mit der NDR-Redaktion und Mehmet
Kurtulus. Für uns als Autoren ist es eine sehr große Ehre,
einen neuen TATORT-Kommissar entwickeln zu dürfen.
Natürlich will man da etwas ganz Besonderes schaffen,
etwas, das es so noch nie gegeben hat.
Thorsten Wettcke: Dabei stand die Idee im Mittelpunkt,
mit Cenk Batu einen verdeckten Ermittler (VE) ins Zentrum
des neuen Formats zu stellen. Und da sich die Arbeit eines
Verdeckten doch schon sehr von der eines ?normalen?
Kommissars unterscheidet, werden sich Batu-TATORTe auch
von den anderen TATORTen unterscheiden. So gibt es bei
uns nicht zwangsweise eine Leiche zu Beginn. Und auch
ein Präsidium wird Batu niemals betreten.
Wie haben Sie sich in dieses Thema eingearbeitet?
Haben Sie spezielle Informationsquellen?
Christoph Silber: Als Krimiautor baut man sich da ein ganzes
Netzwerk auf ? das reicht vom offiziellen Weg (Fachlektüre,
Besuche in Polizeihochschulen, Fachberater) bis
zum persönlichen Draht zu Spezialisten aus den heikleren
Bereichen der Ermittlungsarbeit. Bei letzteren sind Geduld
und Hartnäckigkeit gefragt ? sie stehen jedenfalls nicht im
Telefonbuch ...
Thorsten Wettcke: Im konkreten Fall ?verdeckter Ermittler?
muss man jedoch zugeben, dass wir zunächst auf sehr viel
Granit gebissen haben. Aus verständlichen Gründen hielt
sich die Auskunftsfreude in Grenzen und mehr als Allgemeinplätze
waren kaum in Erfahrung zu bringen. Sehr hilfreich
war dann unser Redakteur Eric Friedler, der uns durch
seine Kontakte eine Tür geöffnet hat, von der wir nicht
einmal zu träumen gewagt hatten. Insofern können wir
jetzt mit Überzeugung sagen, dass wir die Arbeit eines
VE sehr realitätsnah zeichnen konnten.
Cenk Batu in seiner Wohnung, Bild: NDR/Georges Pauly |
VEs nehmen eine falsche Identität an, um zum Beispiel
Einlass in eine kriminelle Gruppe zu finden. Eine schwierige
und gefährliche Aufgabe, die einen um die Spannung in
den nächsten Hamburger TATORTen nicht bangen lässt.
Lässt sie auch genügend Raum für stoffliche Varianten?
Christoph Silber: Absolut. Ein sehr weites Spektrum der
Kriminalität findet in organisierter, gruppierter Form statt,
da werden uns die Stoffe nie ausgehen. Zumal wir in unseren
Recherchen herausgefunden haben, dass auch ein
und derselbe verdeckte Ermittler sehr viel öfter in einer
Stadt eingesetzt wird, als es offiziell kommuniziert wird.
Was unseren Hamburger TATORT von anderen unterscheidet,
ist ja vor allem die unterschiedliche Perspektive auf die
Welt des Verbrechens. Cenk Batu ist mittendrin.
Thorsten Wettcke: Und darin besteht die große Chance
dieses Formats. Cenk Batu geht da hin, wo Kriminalität
wirklich stattfindet. Dabei muss er einerseits seinen Zielpersonen
stets das Gefühl geben, einer von ihnen zu sein.
Und darf andererseits, zumindest offiziell, nicht die kleinste
kriminelle Handlung begehen. Diese paradoxe Situation
erzeugt ein enormes Spannungsfeld, da der kleinste Fehler
schnell das Ende von Cenks Einsatz bedeuten kann. Oder
sogar das Ende seines Lebens.
Mit der Figur Cenk Batu wird der erste türkischstämmige
TATORT-Kommissar etabliert. In dieser Geschichte ermittelt
er zunächst an einem deutschen Fall, muss dann aber
kurzfristig auch in ein türkisches Milieu eintauchen ?
und wehrt sich prompt gegen etwaige Festlegungen.
Wie programmatisch ist das zu verstehen?
Christoph Silber: Uns allen war sehr wichtig, dass dieser
neue TATORT-Kommissar nicht primär durch seine türkische
Herkunft definiert wird, sondern durch die ungewöhnliche
Brisanz seiner Arbeit, seine Gabe, in andere Rollen zu
schlüpfen,
seine hohe Körperlichkeit und Intuition. Es ist
wichtig, dass wir in Deutschland lernen, tiefer zu blicken.
Thorsten Wettcke: Allerdings ist es natürlich auch einfach
ein Fakt, dass ein türkischstämmiger Ermittler gerne in
entsprechenden Milieus eingesetzt wird ? einfach weil
man einen blonden Deutschen dort niemals einschleusen
könnte. Uns ist dabei jedoch wichtig, Batus türkischen
Hintergrund nicht als Bürde zu betrachten, nicht nur auf
der politisch korrekten Klaviatur zu spielen. Wir wollen
deutsch-türkische Klischees brechen, mit Vorurteilen spielen
und mit Cenk Batu einen Charakter schaffen, der genau
das reflektiert ? mal knallhart, mal augenzwinkernd.
Batu ist eine sehr starke Figur; mutig bis zum Draufgängertum,
zugleich aber der Typ, der Konflikte intelligent löst;
zur Empathie begabt und instinktsicher. Als VE braucht er
all das ? ebenso wie seine Fähigkeit, sich zu verstellen.
Platz für private Bedürfnisse bleibt da kaum ? oder werden
wir in diesem Punkt bloß auf die Folter gespannt?
Christoph Silber: Batu ist sehr verankert in der liebevollen
Beziehung zu seinem Vater, die ihm über alles geht. Für
alles andere hat er tatsächlich wenig Zeit und Raum und
ist sicher auch ein gebranntes Kind ? aber gerade das
kann ja besonders spannend werden, wenn die Liebe dann
doch mal zuschlägt ...
Thorsten Wettcke: Was Kollege Silber damit sagen will:
Ja, Sie werden auf die Folter gespannt.
Cenk Batu ist als Figur inzwischen lebendig geworden.
Mehmet Kurtulus hat sie sich anverwandelt. Wie beurteilen
Sie sein Spiel und die Umsetzung Ihres Buches?
Thorsten Wettcke: Es ist immer sehr spannend, wenn man
die ersten Bilder zu sehen bekommt. Wenn die getippten
Worte zum Leben erweckt werden. In diesem Fall war es bei
mir so, dass ich mir einen größeren Fernseher gewünscht
hätte. Sowieso würde ich den Film unheimlich gerne mal
auf der Kinoleinwand sehen.
Christoph Silber: Geht mir genauso. Richard Huber hat das
großartig umgesetzt, Martin Langers Kamera ist einfach
begeisternd. Und Mehmet Kurtulus ist in diesem ersten
Film durch und durch ein Star, ein Schauspieler mit ungeheurer
Präsenz und Sogwirkung.
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