"Wir mussten immer darauf achten,
wie weit wir das Absurde ziehen konnten,
ohne den Fall aus dem Auge zu verlieren"
Interview mit Regisseur Lars Jessen anlässlich des TATORTs "Borowski und die einsamen Herzen"
Was möchten Sie mit dem Film neben einem spannenden
Krimi noch erzählen?
Mir ging es darum, Menschen dabei zuzuschauen, was in
ihrer persönlichen Lebensplanung schiefgelaufen ist. Ich
wollte das nicht vordergründig und effektheischend tun,
sondern mit einem genauen Blick auf die Figuren, der
Humor zulässt. Der Film spielt im Dating-Millieu. Das läuft
heute zwar sehr viel stärker übers Internet ab, aber ich
glaube in einer überschaubaren Stadt wie Kiel kann man
das sicher noch erleben, dass sich die Menschen persönlich
?Auge in Auge? treffen.
Der ganze Film hat sehr komödiantische Züge ? auch
wegen Axel Milberg ...
Ich bin selbst Kieler ? genau wie Axel Milberg ? und habe
mir die Kieler TATORTe natürlich von Anfang an sehr genau
angeschaut. Ich fand die Filme mit ihrer nordisch unterkühlten
Bildsprache meist sehr schön. Wenn man das erste
Mal in solche Gegenden kommt, kann man das auch genauso
erleben ? für mich sind aber Kiel, die Ostseeküste und
die Menschen dort etwas mehr als das. Ich habe meine
Landsleute
immer als besonders humorvoll gesehen und
wollte genau das zeigen. Ich versuche gerne, Ernstes und
Amüsantes auf eine Linie zu stellen und mich nicht zu entscheiden:
Ist das jetzt ein Drama, eine Komödie oder ein
Kriminalfall? Die anderen Kieler TATORTe, die ich bis dahin
gesehen hatte, waren alle immer sehr ernst und düster ...
deshalb war ich froh über das Drehbuch von Thomas
Schwank, das mir die Möglichkeit gab, eine andere Seite
Borowskis erzählen zu können.
Wie haben Sie diese andere Seite dargestellt ? was ist
der Trick?
Der Trick ist, dass man ein gutes Drehbuch hat, das zu einem
passt. Ich habe sehr viel Fernsehen und Serie gemacht
und bin es gewohnt, mich in einen Prozess einzugliedern,
den andere begonnen haben. Da ist es gelegentlich so,
dass man Drehbücher bekommt, bei denen man nicht so
viele persönliche Spuren hinterlassen kann. In diesem Fall
aber bekam ich die Möglichkeit, Borowski auch mal zaudernd,
unsicher, verschmitzt und humorvoll hintergründig
agieren zu lassen. Ich finde, es ist eine ganz große Gabe
von Axel Milberg, diese seltsam verschrobenen Leute spielen
zu können und dabei immer Klischees aus dem Weg
zu gehen. Ich habe ihn gerne so voller Esprit und Witz gesehen,
wie er das in den Dialogen von Thomas Schwank
sein konnte.
Inszenierung und Timing sind in diesem Film anders
als in anderen Krimis ...
Ja natürlich ? im Buch standen die komödiantischen Aspekte
am Anfang sogar noch stärker im Vordergrund. Mir war
es aber auch wichtig, dass der Krimi gut funktioniert und
bis zum Schluss der ?whodunit?-Strang spannend erzählt
wird. Ich finde nichts schlimmer als einen Krimi, bei dem
sozial relevante Themen oder spektakuläre Verbrechen erzählt
werden, aber der Plot nicht funktioniert. Die Mischung
aus den lustigen Dating-Episoden mit Eggert und Milberg
und den spannenden Krimi-Szenen musste einfach stimmen.
In der Arbeitsweise war das sehr spannend, weil wir immer
darauf achten mussten, wie weit wir das Absurde ziehen
konnten, ohne den Fall aus dem Auge zu verlieren. Auch für
die Schauspieler war das eine Herausforderung, weil die
Spanne der Darstellung natürlich viel größer war als bei
einem klassischen Krimi-Plot.
Kiel wird ganz besonders inszeniert ? war Ihnen das ein
Anliegen?
Bei einer fremden Stadt ist man wahrscheinlich lässiger im
Umgang mit lokalen Eigenheiten ? aber für mich war es
spannend, zum ersten Mal in einer Stadt zu drehen, die ich
seit Kindesbeinen kenne! Mir ging es vor allem darum,
nicht die augenfälligen Kieler Motive zu zeigen wie die
Kieler Förde und die Stena-Line, die nach Schweden fährt.
Deshalb steht bei uns das Olympiazentrum von 1972 in
Kiel-Schilksee im Mittelpunkt der Geschichte ? ich finde,
das ist ein wahnsinnig tolles Motiv, das es in dieser Form
in anderen Küstenstädten nicht gibt. Und ich wollte schon
einen echten Kiel-Film drehen ? z.B. fahren die Figuren
von Schilksee in die Innenstadt über die Holtenauer Hochbrücke,
die zu einem wesentlichen visuellen Merkmal des
Films geworden ist. Ich hoffe, dass meine kritischen Kieler
Landsleute das auch entsprechend würdigen werden.
Axel Milberg erzählte mir von einer Begegnung in einer
Bäckerei, wo der Chef ihn freudig mit den Worten begrüßte:
?Lieber Herr Milberg ? der letzte TATORT ? schon besser? ?
immerhin war das schon sein zehnter!!
In der Tat inszenieren Sie entgegen der Erwartungshaltung.
Statt großer Segelschiffe sieht man nur einen einsamen
?Pirat?, ein Segelboot, auf der Förde ....
Wir haben diesen Film sehr früh im Jahr gedreht, und Anfang
März denkt eben noch kein Mensch ans Segeln. Ich
fand das großartig ? einen vollen Hafen und eine Regatta
mit vielen Schiffen kann jeder drehen, aber dieses eine
Boot in der Ostsee bei 4 Grad Wassertemperatur hat etwas
Einzigartiges ? ganz zu schweigen von den schwierigen
Drehbedingungen. Und einen Dreh auf Wasser darf man
nicht unterschätzen. Solche Szenen sehen gemütlicher aus,
als sie sind. Wenn man bei diesen Temperaturen ins Wasser
fällt und nicht sofort rausgezogen wird, kann das sehr
schnell gefährlich werden, weil sich die Muskeln verkrampfen.
Da brauchen die Schauspieler eine ganze Menge Mut ?
Schmeide und Milberg haben den bewiesen.
Wie war die Zusammenarbeit mit den Schauspielern?
Maren Eggert kannte ich vorher schon privat und wir hatten
gleich eine große Vertrauensbasis. Mit Axel Milberg wollte
ich schon lange zusammenarbeiten und wir standen denn
auch gleich vereint am Set und freuten uns wie Kinder,
dass wir uns in Kiel am besten auskannten ? besser als
jeder Motivaufnahmeleiter! Wir haben auch oft den Funkverkehr
übernommen. Mit Gabriela Schmeide habe ich
schon vier Filme gedreht und ich schätze an ihr vor allem
die Fähigkeit, echte Menschen in jedem Zusammenhang
herzustellen ? ob diese Figur böse oder lieb ist, man käme
nie auf den Gedanke, dass sie eine Kunstfigur sein könnte ?
auch im Spiel mit Astrid Meyerfeld ? die ja auch vom Theater
kommt. Beide sind sehr authentisch und konnten deshalb
diese Frauenfreundschaft absolut glaubhaft darstellen.
Da braucht man Frauen, die den Mut haben, sich auch mal
ein Stück vom Text zu lösen, ohne ihn zu verraten ? und
man braucht Vertrauen zueinander. Der Dreh war für mich
in dieser Beziehung ein echter Blindflug.
Sehen Sie sich als einen norddeutschen Regisseur?
Ja, absolut ? ich drehe in diesem Jahr vier Filme und alle
spielen in Schleswig-Holstein. Aber ich stehe dazu ? zu
meinem Bundesland und auch zu Hamburg, wo ich mittlerweile
lebe. Ich besetze dieses Feld des Heimatfilmers sehr
gerne ? es ist ja eine Binsenweisheit, dass man immer das
erzählen sollte, was man am besten kennt.
Was reizt Sie am Norden?
Ich bin ein glühender Verehrer der frühen Buck-Phase.
?Erst die Arbeit und dann? war für mich ein Schlüsselerlebnis.
Buck machte jetzt andere Filme, und ich hatte
das Gefühl,
dass da noch was übrig ist ? mit ein paar
Jahren Verspätung habe ich den Faden wieder aufgenommen
und fühle mich dabei sehr wohl. Ich liebe meine
Heimat und die Menschen hier ? habe aber auch keine
Scheu zu sagen, wo es meiner Meinung nach nicht so
schön ist und es vielleicht gerade dadurch auch einen
speziellen Charme hat. Man muss auch mal hinter die Tür
gucken ? das geht aber nur, wenn man sich hier auskennt
und mit den Themen, die auf der Straße liegen, beschäftigt.
Was steht demnächst an?
?Die Schimmelreiter? läuft auf dem Hamburger Filmfest
Ende September und kommt hoffentlich im Frühjahr ins
Kino. Es ist die Geschichte eines Lebensmittelkontrolleurs
aus Dithmarschen an der Westküste, der gerne nach
Hamburg versetzt werden möchte ? mit Axel Prahl und
Peter Jordan. Dann habe ich für das ZDF ?Butter bei die
Fische? mit Ulrike Kriener und Peter Heinrich Brix gedreht ?
der kommt im Frühjahr ins Fernsehen. Am 25. August begannen
die Dreharbeiten zu meinem vierten Film in diesem
Jahr ? ein Kinofilm in Ko-Produktion mit dem NDR nach
dem Roman ?Dorfpunks? von Rocko Schamoni. Die Geschichte
spielt 1984 und erzählt von verspäteten Punks an
der Ostsee, die daran scheitern, eine Band zu gründen.
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