"Die Handlung spielt durchaus vor einem reellen Hintergrund"
Interview mit Prof. Dr. Michael H. Förster
Dr. Nicolai testet, ob der eingepflanzte Chip bei Patientin Kerstin Vonk funktioniert. Bild: rbb/Hardy Spitz |
Welche verschiedenen Projekte gibt es, Blinde wieder sehen zu lassen?
Die verschiedenen Strategien lassen sich in biologische und technische
Lösungsansätze unterteilen. Bei den biologischen Ansätzen wird versucht, mit
gentechnischen und molekularbiologischen Methoden die degenerativen
Prozesse im Auge zu stoppen und verloren gegangene Photorezeptoren zu
ersetzen. Bei den technischen Ansätzen wird versucht, durch Implantation
eines Chips die Netzhaut im Auge zu stimulieren, bzw. durch Stimulierung des
optischen Nervs die Sehfähigkeit partiell wieder zu erlangen.
Wie bewerten Sie die Erfolgsaussichten?
Auch wenn wir international mit vergleichsweise geringen finanziellen Mitteln
ausgestattet sind, gehören die Forscherteams aus Deutschland mit der
Entwicklung eines Augen-Chips zur Weltspitze. Man darf aber nicht vergessen:
Das Auge blickt auf eine evolutionäre Entwicklungsgeschichte von 150
Millionen Jahren zurück, während wir auf diesem Gebiet seit ungefähr 25
Jahren nach Lösungen suchen. Die Forschung steht am Anfang des Weges und
es ist schwer zu beurteilen, welche Lösungen zum Ziel führen werden.
Wie werden jahrelange Forschungs- und Entwicklungskosten getragen?
Die Forschungsprojekte funktionieren nur durch das Zusammenspiel von
Industrie, Forschung und Politik. Neben dem Engagement der Wirtschaft
stammen Forschungsgelder vor allem vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF). Private Spenden machen in Deutschland leider nur einen
kleinen Teil der Finanzierung aus. Davon abgesehen ist zusätzlich auch privates
Engagement der Mitwirkenden gefragt. So arbeite ich bei der Beratung der
Forschungsprojekte auf ehrenamtlicher Basis.
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Prof. Dr. Michael H. Förster
Prof. Dr. Michael H. Förster ist seit knapp 20 Jahren Leiter der Augenklinik
des Universitätsklinikums Benjamin Franklin in Berlin. Seine
Arbeitsschwerpunkte sind die Diagnostik von Netzhauterkrankungen, die
optimale Netzhautchirurgie und die Grundlagenforschung des Sehsystems.
Von 1996 bis 2004 war er Präsident der Retinologischen Gesellschaft sowie
von 2004 bis 2005 Präsident der Deutschen Ophthalmologischen
Gesellschaft. Förster ist des weiteren Mitglied der Retina Society in Boston
und wurde 2005 für seine Verdienste mit dem Bundesverdienstkreuz
ausgezeichnet.
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Wie groß ist der Kampf um Gelder für die Forschung?
Da die Forschung ohne Unterstützung des BMBF nicht möglich wäre, stehen
die unterschiedlichen Projekte natürlich auch in einem gesunden Wettbewerb
zueinander. Letztendlich wacht jedoch eine unabhängige Kommission
innerhalb des Ministeriums über die gerechte Verteilung der Gelder.
Im Tatort ?Blinder Glaube? werden Rückschläge in der Forschung
verschwiegen, um die weitere Finanzierung eines Projektes nicht zu
gefährden. Inwiefern deckt sich das mit der Wirklichkeit?
Die Handlung spielt durchaus vor einem reellen Hintergrund. Man denke nur
an den südkoreanischen Forscher [Anmerkung: Hwang Woo Suk] und seinen
vermeintlichen Durchbruch in der Stammzellenforschung. Oftmals werden
solche Fälschungen aber durch die internationale Forschergemeinde
aufgedeckt. Dieser Selbstreinigungsmechanismus funktioniert recht gut, da
durch internationale Publikationen und die Vernetzung untereinander die
Forscherteams weltweit darüber informiert sind, was von wem veröffentlicht
wird.
Wann wird der erste Blinde wieder sehen können?
Wenn wir das gesunde menschliche Auge als Maßstab nehmen, dann werde
ich das sicherlich nicht mehr erleben. Es geht aber vielmehr um das Erreichen
des nächsten Etappenziels. Momentan ist unser Chip in der Lage einer
erblindeten Person die Wahrnehmung von Hell und Dunkel, Vertikal und
Horizontal zu ermöglichen. Der nächste Schritt wird die Orientierung im Raum
sein, so dass für die erblindete Person mit Hilfe des Augenchips das Sehen
wieder der primäre Wahrnehmungssinn sein wird.
Das Interview entstand im Juni 2008 in Berlin
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