Allzu offensichtliche Andeutungen...
Bei der Obduktion der Leiche von Susanne Körting stellt sich heraus, dass die junge Frau wenige Tage vor ihrer Ermordung entbunden haben muss. Vom Säugling jedoch fehlt jede Spur. Der Verdacht fällt zunächst auf den Ehemann und vermeintlichen Vater des Babys, der sich bei seiner ersten Befragung weder nach dem Neugeborenen erkundigt, noch die Schwangerschaft seiner Frau erwähnt. Verdächtig im Zusammenhang mit dem Mordfall Susanne Körting sind außerdem die beiden ehemaligen Arbeitgeber und der Gynäkologe der Toten.
Keppler und Saalfeld ermitteln, Bild: MDR/Steffen Junghans |
Die Sorge um den vermissten Säugling setzt bei Eva Saalfeld derart ungeahnte Kräfte frei, dass sich bezüglich Evas eigenem Schicksal unweigerlich ein gewisser Verdacht aufdrängt. Das Schlimme daran: jede noch so naheliegende Vermutung wird bestätigt!
Persönliche Betroffenheit der Kommisare dominiert auch diesen TATORT
Für den Fall jedoch, dass der ein oder andere Zuschauer die allzu offensichtlichen Anspielungen nicht zu deuten weiß, wird die ganze Problematik des verlorenen Kindes und der gescheiterten Ehe der Kommissare minutiös auserzählt:
Eva sucht Trost bei ihrer Mutter und kümmert sich um ihren Neffen, dem sie - den Tränen nahe - die Geschichte vom stärksten Elefanten der Welt, der seine Familie wiederfindet, vorliest.
Angenommen es gäbe noch irgendeinen bergiffsstutzigen Zuschauer, der immer noch nicht verstanden haben könnte, dass Eva an ihr eigenes Kind erinnert wird, muss spätestens angesichts der nun folgenden Großaufnahmen, die Eva mit den Kleidern und dem Spielzeug ihres verstorbenen Babys zeigen, die Tragik im Leben von Eva Saalfeld erkennen.
Kommissar Keppler, Bild: MDR/Steffen Junghans |
Und wenn nicht? Dann gibt es ja noch die treusorgende Mutter, die Eva nochmal in Erinnerung ruft, dass sie und Andreas ihr eigenes Kind verloren haben und daher den Fall aus Betroffenheit ablehnen sollten. Danke! Jetzt hat es wirklich jeder begriffen!
Aber unweigerlich will der wissensdurstige Fernsehzuschauer der Sache weiter auf den Grund gehen! Woran nur mag die Ehe der beiden Kommissare gescheitert sein? Warum hat Eva ihren Ehering in die Elster und Andreas seinen in den Ausguss geworfen? Bedauerlicherweise findet diese Tatort-Episode auf alles eine Antwort! Überraschenderweise hat das Paar nämlich damals den Verlust seines Kindes nicht verkraftet und Andreas begonnen, seinen Schmerz mit Alkohol zu betäuben - die Ehe hielt das nicht aus! Wer hätte das gedacht,..... Trost sucht Andreas, der nachdenkliche Einzelgänger, jetzt beim Wirt seiner Pension.
Rechtsmediziener Striesow mit Keppler, Bild: MDR/Steffen Junghans |
Ein ganz gewöhnlicher Mord
Parallel zur Inszenierung des Seelenlebens der beiden Kommissare wird ein beinahe klassischer Kriminalfall etwas zu nebensächlich erzählt. Im Kreise der Verdächtigen erscheinen gleich mehrere Tatmotive plausibel. Der geprellte Ehemann, dessen Schreinerei kurz vor dem Ruin steht, da er keine Aufträge mehr vom angeblichen Ex-Geliebten seiner verstorbenen Frau erteilt bekommt, kommt als Mörder ebenso in Frage wie der mögliche Liebhaber selbst. Aber auch der Arbeitgeber und Susannes Gynäkologe benehmen sich höchst verdächtig. Im Zentrum der Ermittlungen steht jedoch nicht die Suche nach dem Mörder, sondern die nach dem verschwundenen Säugling. Die zweite Leiche in diesem Fall wird dadurch kaum mehr wahrgenommen, eine Auseinandersetzung mit dem Thema Leihmutterschaften, vor dessen Kulisse der Mord an Susanne Körting gespielt wird, findet nicht statt. Unnötig, wenig überzeugend und eher alibimäßig wirkt daher auch Eva Saalfelds Statement, in welchem sie das Verfahren einer Leihmuttschaft prinzipiell nicht für moralisch verwerflich erachtet - wäre sie doch damals, als sie unbedingt schwanger werden wollte, selbst bis zum Äußersten gegangen.
Lannert und Bootz sind die neuen Ermittler in Stuttgart, Bild: SWR/Kluge |
In Stuttgart war weniger sehr viel mehr
Erlaubt sei an dieser Stelle, eine Parallele zwischen den Ermittlern in Leipzig und den Kollegen aus Stuttgart aufzuzeigen: Denn auch im Stuttgarter Debut ging es um Paare, die auf natürliche Weise kein Kind bekommen können. Hier dubiose Leihmuttschaften und dort skrupellose Adoptionsagenturen, hier ein Ermittlerpäarchen, das sein Kind verloren hat und dort? - deutet alles auf einen Kommissar hin, der dieses Schicksal teilt! Wer die vergleichsweise vorsichtigen Anspielungen im Stuttgarter Fall schon als Wink mit dem Zaunpfahl empfunden hat, wird von der Leipziger Inszenierung förmlich erschlagen!
Saalfeld und Keppler bei Manuel Körting, Bild: MDR/Steffen Junghans |
Die Genialität der Straßenbahn
Schade also, dass in Leipzig auch im zweiten Fall den paartherapeuthischen Belangen ein so großer Platz eingräumt wird. Zweifelsohne haben darunter nämlich alle weiteren dramaturgischen und filmischen Aspekte zu leiden - alle außer der Straßenbahn. Ein Verkehrsmittel, das - so scheint es - an Genialität kaum zu übertreffen ist.
Sollten die Leipziger Verkehrsbetriebe darauf verzichten, sich die beiden so betont unterschiedlichen Charaktere der Leipziger Mordkommission für eine Werbekampagne einzukaufen, handelt es sich um ein unverzeihliches Versäumnis. Denn sowohl auf visueller als auch auf inhaltlicher Ebene ist die Straßenbahn in diesem Fall sorgfältiger in Szene gesetzt als so manch eine Nebenrolle.
Katharina Gamer
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