Jährlich werden nach einer Studie des UN-Weltbevölkerungsberichts etwa 5000 Mädchen
und Frauen in mindestens 14 Ländern, darunter Pakistan, Jordanien und der
Türkei, im Namen der Ehre ermordet. TERRE DES FEMMES geht jedoch von einer
sehr hohen Dunkelziffer aus, da nur die wenigsten Fälle vor Gericht gebracht werden.
Verbrechen im Namen der Ehre sind kein explizit religiöses Phänomen, sondern treten
in traditionell patriarchalischen Gesellschaften auf, in denen der Mann über der Frau
steht und die Ehre der Familie häufig mehr wert ist als das Leben einer Frau. In traditionell
patriarchalischen Gesellschaften ist die Ehre der gesamten Familie abhängig
vom Verhalten der weiblichen Familienangehörigen. Verhält sich die Ehefrau, Tochter
oder Schwester nicht dem traditionellen Frauenbild gemäß keusch und zurückhaltend,
verletzt sie nicht nur ihre eigene, sondern die Ehre der gesamten Familie.
Die Männer haben die Aufgabe, auf ihre weiblichen Familienangehörigen aufzupassen.
Gelingt ihnen dies nicht, trifft die Schande in erster Linie sie. Daher sind sie diejenigen,
die die Familienehre notfalls mit Gewalt wiederherstellen müssen. Eine verletzte
Familienehre kann nach dem traditionellen Ehrenkodex in vielen Fällen nur durch Verstoßung
oder Tötung der Frau wiederhergestellt werden. Männer sind dabei Täter wie
Opfer zugleich, da oftmals minderjährige und damit nicht voll schuldfähige Brüder der
Frau gezwungen werden, die Tat zu begehen. Der gesellschaftliche Druck ist dabei so
groß, dass sie sich häufig nicht entziehen können.
Auch in Deutschland haben Migrantinnen unter Gewalt im Namen der Ehre zu leiden.
Häufig halten Familien mit Migrationshintergrund besonders stark an Traditionen und
Wertvorstellungen fest und versuchen sich von der Umwelt abzugrenzen. Insbesondere die Frauen sollen nicht mit dem teilweise als verwerflich wahrgenommenen westlichen
Lebensstil in Kontakt kommen, um die Familienehre nicht zu gefährden.
Junge Frauen stehen häufig zwischen zwei Welten: Sie wollen und müssen ihrer Familie
gerecht werden und gleichzeitig möchten sie wie jede andere junge Frau ihre
Freiheit ausleben. Dies wiederum führt zu Konflikten mit der Familie, die die neuen
Lebensgewohnheiten der Frau oder des Mädchens nicht akzeptieren will. Typisch ist
auch, dass sich die jungen Frauen gegenüber ihren Familien schuldig fühlen, da sie
durch ihr Verhalten deren Ehre gefährden.
Viele Eltern glauben, dass sie ihre Töchter durch eine Verheiratung mit einem Mann
aus dem Herkunftsland wieder auf den ?richtigen? Weg bringen können. In der Realität
macht eine solche Zwangsehe den Konflikt oftmals unerträglich. Der Ehemann, der
von seiner Frau ein traditionelles Verhalten erwartet, trifft auf eine aufgeklärte junge
Frau mit eigener Lebensplanung. Eine strenge Überwachung der Frau, Misshandlungen
und Schläge sind häufig die Folge.
Repräsentative Zahlen, wie viele Frauen im Namen der Ehre in Deutschland misshandelt,
zwangsverheiratet oder sogar ermordet werden, existieren bisher noch nicht. Bei
TERRE DES FEMMES haben sich in den letzten drei Jahren über 500 Frauen und
Mädchen gemeldet, die im Namen der Ehre Gewalt erlitten und nach Hilfe suchten.
Rahel Volz ist Referentin für Gewalt im Namen der Ehre bei TERRE DES FEMMES ? Menschenrechte
für die Frau e.V. Der Verein ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation
für Frauen und Mädchen, die mit Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit, Einzelfallhilfe, Förderung von Projekten und internationaler Vernetzung unterdrückte Frauen unterstützt. Schwerpunktthemen sind häusliche Gewalt, Zwangsheirat, Ehrverbrechen, weibliche Genitalverstümmelung und Zwangsprostitution. Der Verein wurde 1981 gegründet, die Geschäftstelle befindet sich in Tübingen. Nähere Informationen finden sich auf der TERRE DES FEMMES-Homepage
www.frauenrechte.de