?Psychologie und das menschliche Gedächtnis spielen eine große Rolle in diesem ?Tatort??
Gespräch mit Maria Furtwängler
Charlotte Lindholm und ihr Sohn David, Bild: NDR/Christine Schroeder |
Im Vorspann steht ?Nach einer Idee von
Maria Furtwängler?.Welche Idee hatten Sie denn
ursprünglich?
Ausgangspunkt war für mich, dass Charlotte
Lindholm jetzt Mutter geworden ist und sich offiziell
im Mutterschaftsurlaub befindet. Also konnten wir
sie nicht auf einen richtig großen Fall ansetzen.
Andererseits füllt sie die Mutterrolle allein überhaupt
nicht aus.
Ging es Ihnen persönlich ähnlich, als Sie Mutter
wurden?
Ja, so war es.Keine Frage, das Schönste in meinem Leben
sind die Kinder. Sich allein und ausschließlich nur um
die Kinder zu kümmern,kam für mich aber ebenso wenig
in Frage wie für Charlotte Lindholm.
Es ging also darum, den passenden Fall für diese
Situation zu finden ?
Einerseits Lindholms Rastlosigkeit, andererseits ihre
Mutterrolle ? da schien mir die Welt der Kleingärten
mit ihrer scheinbaren Harmlosigkeit und Aufgeräumtheit,
in der die Kommissarin schließlich doch Indizien für
ein Verbrechen entdeckt, den passenden Plot zu liefern.
Sie bescheren uns eine Premiere. Erstmals erleben
wir eine ?Tatort?-Kommissarin mit Baby. Auf welchen
Typ Mutter dürfen wir uns denn einstellen? Doch wohl
nicht auf eine Rabenmutter?
Ich gehöre zu denen, die sich schon allein gegen diesen
Begriff der ?Rabenmutter? wehren. Nur wir Deutschen
reden von einer Rabenmutter, in anderen Ländern kennt
man diesen Begriff nicht. In Frankreich oder Italien ist es
selbstverständlich, dass Frauen ein Jahr nach der Geburt
wieder voll im Job sind. Für die französischen Frauen ist es
völlig selbstverständlich, ihre Kinder mit sechs Monaten
in die creche, die Kinderkrippe, zu geben. Ich habe keine
Ahnung,was richtig ist. Ich denke, jede Frau muss das am
Ende für sich selbst entscheiden, aber es ist sicher nicht
zwingend nötig, dass eine Mutter ihre Kinder rund um
die Uhr betreut ? am besten bis sie die Grundschule hinter
sich haben.
Mit Baby geraten Sie als junge Mutter in eine Fülle von
komischen bis spannenden Situationen.Welche davon
gefällt Ihnen besonders gut?
Ein Klassiker ist für mich der Moment, in dem ich versuche,
meinen kleinen Film-David zum Einschlafen zu bringen,
indem ich mich neben ihn lege. Und wenn ich mich dann
von ihm lösen will,wacht er natürlich prompt wieder
auf ? und das Spiel beginnt aufs Neue.
Aber nicht nur mit diesen sympathischen Momenten ist
das Baby ein Gewinn für diesen ?Tatort?, oder?
Ich möchte mit diesem Film gerne erzählen, dass das Baby
insgesamt eine Bereicherung für Charlotte Lindholms
Leben darstellt ? und nicht von Rabenmüttern und dem
fürs Leben geschädigten Kind. Die Kommissarin wird
in ihrem Job mit Kind mindestens genauso erfolgreich
arbeiten wie bisher,weil sie als Mensch erfüllter und glücklicher
ist. Das heißt nicht, dass es für sie überhaupt keine
Einschränkungen gibt ? in diesem Film ergibt sich eine
tragische Situation nicht zuletzt deshalb,weil Lindholm zu
ihrem Baby gerufen wird. Aber alles in allem möchte ich
diese Mutter-und-Kind-Geschichte als Glücksgeschichte
erzählen, das Kind als Bereicherung, als große Erfüllung,
nicht als Hauptursache für Stress und Hektik ? dies wäre
der gewünschte familienpolitische Beitrag.
Ihre eigenen Kinder sind längst keine Babys mehr. Mussten
Sie kurz nachdenken, oder hatten Sie alle Handgriffe,die
man für ein Baby braucht, sofort wieder drauf?
Im ersten Moment habe ich tatsächlich kurz gestutzt und
überlegt:Wie ging das doch gleich mit dem Wickeln? Nach
den ersten Handgriffen wusste ich es wieder, alles war noch
abgespeichert.Auch als ich den kleinen David zuerst im
Arm hielt,war ich für einen winzigen Moment irritiert ?
dann aber klappte alles prima.
Nicht nur dank des kleinen Davids herrscht in dieser Episode
eine vergleichsweise heitere Atmosphäre. Nicht jeder ?Tatort?
muss als nervenzerfetzender Thriller angelegt sein ??
Nein, gerade zu diesem Fall habe ich mir eine helle,warme
und freundliche Atmosphäre gewünscht ? und stieß damit
bei Regie und Kameramann auf offene Ohren.
Täuscht der Eindruck, oder ist Charlotte Lindholm diesmal
so neugierig, wie sie bisher in keinem ihrer ?Tatorte? war?
Das kann schon sein. So unausgefüllt wie sie ist, fiebert sie
geradezu danach, ihren kriminalistischen Spürsinn wieder
zu aktivieren.
Worin liegt der Reiz bei einem Krimi,wenn ein Mitglied
einer Kleingartenkolonie als Täter enttarnt werden soll?
Die Psychologie und das menschliche Gedächtnis spielen
eine große Rolle in diesem ?Tatort?.
Finden Sie es spannend, sich mit den Abgründen der
menschlichen Seele und dem Phänomen des Gedächtnisses
zu beschäftigen?
Das ist sehr spannend:Von dem befreundeten Hirnforscher
Ernst Pöppel habe ich erfahren, wie subjektiv unser
Erinnern ist.Wenn Sie sich an sehr intensive Erlebnisse
erinnern, kann es zum Beispiel passieren, dass Sie sich
selbst mit in diesem Erinnerungsbild sehen ? so als hätte
ein Außenstehender diese Szene quasi gefilmt. Unser
Erinnern ist eine Rekonstruktion der Wirklichkeit, kein
objektives Abbild.
Als Gärtnerin Andrea,gespielt von Maren Kroymann,in
einer Szene aus Angst hyperventiliert, also sehr schnell
atmet, lassen Sie als Charlotte Lindholm sie sofort in eine
Plastiktüte hineinatmen ? kennen Sie diesen Trick aus
Ihrer Arbeit als Ärztin?
Ja, so ist es. Das habe ich natürlich erlebt. Die Behandlung
dauert in Wirklichkeit allerdings länger.
Nachdem Sie in Ihrem ersten ?Tatort: Lastrumer Mischung?
mutig zum Dorffriseur gegangen sind,wagen Sie sich
diesmal sogar daran, im Kostüm als Kürbis aufzutreten.
Hat Sie das zumindest etwas Überwindung gekostet?
Im Gegenteil, das war mein persönlicher Wunsch. Ich suche
geradezu nach Situationen, in denen Charlotte Lindholm
bereitwillig über ihre eigenen Geschmacksgrenzen springt,
um sich per Mimikry direkt in das Leben der Leute hineinzubegeben,
bei denen sie gerade ermittelt. Denken Sie an
die Aqua-Gymnastik, mit dieser unsäglichen Badekappe ?
Gar nicht unsäglich findet Frau Lindholm den Pathologie-
Praktikanten Edgar Strelow, der heftig mit ihr flirtet.
Was halten Sie persönlich denn von seiner Idee, der
Angehimmelten eine CD mit Liebesliedern zu schenken,
etwa mit dem Song ?You are so beautiful??
Die Idee ist doch süß. Ich würde mich selbst sicher auch
darüber freuen!
Wieso wehrt sie sich eigentlich gegen Edgars Avancen?
Er macht doch eigentlich alles richtig?
Er ist vielleicht etwas forsch. Und was Charlotte Lindholm
betrifft, fühlt sie sich eher zu Männern hingezogen,
die nicht so leicht zu haben sind. Mal schauen, wie es da
weitergeht.
Dann erzählen Sie doch zum Schluss bitte, wie es bei
Ihnen persönlich weitergeht: 2007 war für Sie ein Jahr der
besonderen Erfolge, im März lief der Zweiteiler ?Die Flucht?
im Ersten, im Herbst erhielten Sie den Deutschen Fernsehpreis
als beste Schauspielerin für die ?Tatort?-Folgen
?Pauline? und ?Das namenlose Mädchen? sowie den
Publikums-Bambi für ?Die Flucht? und die Publikumspreise
von der ?Goldenen Henne?sowie jetzt im Februar von der
?Goldenen Kamera?.Welche Wünsche und Pläne haben
Sie für das laufende Jahr 2008?
Sehr neugierig bin ich auf das Endergebnis meiner
Dreharbeiten zum Kinofilm ?Räuber Kneißl?: Ich bin da
ins Metier der Räubermutter und ins bayerische Idiom
gewechselt.
Wer führt Regie?
Den Film hat Kino-Shootingstar Marcus H. Rosenmüller
inszeniert, dessen Debütfilm ?Wer früher stirbt, ist länger
tot?, ebenfalls im bayerischen Dialekt, gleich in mehreren
Kategorien den Deutschen Filmpreis gewann.
Und was erwartet uns beim nächsten ?Tatort??
Nach den skurrilen Geschehnissen und Geheimnissen im
Schrebergarten ist der nächste Fall eine Dimension größer
angelegt und geht eher in die Richtung eines Thrillers.
So schön die Kuschelphasen mit dem Baby sind, sie müssen
auch einmal wieder zu Ende gehen.
Hat sich Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff
eigentlich schon einmal um eine Gastrolle beworben?
Nein, aber ich weiß, dass er gerne ?Tatort? sieht.
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