?Spannung und Humor müssen sich aus den Szenen ergeben?
Gespräch mit Autorin und Regisseurin Angelina Maccarone
Kennen Sie Reinhard Meys Lied ?Der Mörder ist immer
der Gärtner??
Ja, natürlich.
Hat Sie dieses Lied zu Ihrem neuen ?Tatort? inspiriert?
Nein, die Grundidee, dass in einem Schrebergarten eine
Leiche auftaucht, stammt von Maria Furtwängler.
Wer erwartet zwischen Blumenbeeten und präzise
geschnittenen Hecken Mord und Gewalt?
Der Reiz liegt hier in dem Kontrast, dass unter der perfekten
Idylle bereits das Unheil lauert, dass hinter dem Erblühen
der schönen Herbstblumen bereits das Verwelken droht.
Im Garten ist man sehr nah dran an all den Werdens- und
Vergehensprozessen. Da wir heute vom Zyklus der Natur
eher entfremdet sind ? zumal sich das Wetter bei uns in
den verschiedenen Jahreszeiten kaum noch unterscheidet
und Blumen, Obst und Gemüse immer verfügbar sind ? ist
der Kleingarten eine Chance für Städter, näher an die Abläufe
der Natur heranzurücken, dazu gehört natürlich auch
der Tod.
Der ?Tatort? ist oft ein Spiegel der sozialen Wirklichkeit.
Diesmal erleben wir keine Korruption und keine Verwahrlosung
? ist dieser ?Tatort? Meilen von unserer Wirklichkeit
entfernt?
In der Vorbereitung zu diesem ?Tatort? habe ich mich intensiv
mit Rechtsmedizin beschäftigt. Bei auffallend vielen
Berichten über reale Leichenfunde ist der Schrebergarten
das favorisierte Versteck.Wir erzählen unseren Schrebergarten-?
Tatort? allerdings auch mit einem Augenzwinkern:
Ausgerechnet während ihres Mutterschutzes, ausgerechnet
im Kleingarten, in dem sie sich mal nicht mit kriminalistischer
Weiterbildung beschäftigt, sondern sich in Ruhe
ihrem Mutterglück hingeben soll, stößt Charlotte Lindholm
auf ihren nächsten Fall ? weil sie unter die Oberfläche
schaut. Abgesehen davon, dass sich Morde ?querbeet?
durch alle Schichten ziehen, liegt die gesellschaftliche
Thematik in diesem ?Tatort? eher bei der Kommissarin mit
Kind, die für ihre Umgebung plötzlich als ?Muttertier? gilt
und es schwer hat, mit dem kleinen David an ihrer Seite
von ihrem Chef für voll genommen zu werden.
Einerseits muss ein Krimi bestimmten Gesetzmäßigkeiten
des Genres entsprechen,andererseits mussersich abheben,
abweichen, auffallen.Wie haben Sie beim Drehbuchschreiben
diese Gratwanderung erlebt?
Was mir am Gärtner-Milieu gefällt, ist das Schräge. Es
reizt mich immer,unter der sichtbaren Oberfläche noch
etwas anderes zu erkunden. Es hat mir Spaß bereitet, hier
unter die Idylle,unter die vermeintliche Harmlosigkeit zu
schauen. Ich bewege mich sozusagen eine Etage tiefer ?
und da stoßen wir in diesem Film sehr schnell auf Insekten,
Würmer und anderes Getier.
Gab es bestimmte Einfälle, an denen Sie länger
geknobelt haben? Die dann aber die Geschichte in eine
neue, spannende Richtung lenkten?
Das ist ein ständiger Prozess beim Drehbuchschreiben. Für
mich ging es zunächst darum, eine Schar von Verdächtigen
zu entwerfen und einige Spuren zu legen, die in die Irre
führen.Auch auf den wahren Täter sollen schon einige
Hinweise deuten. Ich finde es ärgerlich, wenn der Täter am
Ende wie ein ?deus ex machina? aus dem Hut gezaubert
wird.
Neben dem Ermitteln kümmert sich Kommissarin Lindholm
um ihren kleinen David, wir erleben sie als erste ?Tatort?-
Kommissarin mit Baby. Haben Sie selbst Erfahrungen mit
Babys?
Ja. Ich kann auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, mit
meiner Nichte, als sie klein war, und bei den Kindern einer
Freundin, die ich alltäglich mitbetreut habe. Das ist allerdings
nun schon eine ganze Weile her. Als ich jetzt mit
Freunden und Bekannten über ihre Baby-Erlebnisse sprach,
habe ich schnell gemerkt, dass die Themen eigentlich
noch dieselben sind.
Sie haben wieder Ihr eigenes Drehbuch als Regisseurin
umgesetzt.Hatten Sie schon beim Schreiben Bilder vor
Augen, die Sie dann umsetzen wollten?
Meine Doppelrolle bringt eine gewisse Schizophrenie
mit sich. Ich darf als Autorin nicht daran denken,
wie mühselig oder unbequem meine Ideen für die
Regisseurin Angelina Maccarone sein werden ? wenn
sie in einem matschigen Garten oder einem engen
Büro drehen muss. Beim Schreiben darf ich mich weder
von den körperlichen Mühen noch von der Vorstellung
schöner Bilder ablenken lassen. Beim Schreiben muss
vor allem der Aufbau meiner Geschichte, ihre Dramaturgie
stimmen. Danach, wenn ich mir mein Buch dann als
Regisseurin von Neuem aneigne, verändere ich unter
Umständen noch einiges, um es visuell interessanter zu
gestalten.
Lag eine Schwierigkeit beim Inszenieren darin, die richtige
Balance zwischen Humor und Spannung zu finden?
Das war eher eine Frage beim Schreiben des Drehbuchs.
Sowohl die Spannung als auch der Humor müssen sich
aus der Geschichte, aus den Szenen ergeben.Wenn ein
Film Komödienanteile hat, achte ich beim Dreh sehr darauf,
dass es nicht ?lustig? gespielt wird, weil Komik so nicht
funktioniert. Bei komischen Szenen ist es genauso wichtig,
die Gefühle und die Motive einer Figur ernst zu nehmen,
wie bei den dramatischen Szenen.
Haben Sie die Schauspieler auf unterschiedlichen Wegen
zum gewünschten Resultat geführt?
Schauspieler sind natürlich Individuen. Bei einigen reicht
ein kurzer Hinweis, andere möchten genaue Informationen
über das gesamte Vorleben ihrer Figur. Ich muss also
ein Gespür dafür entwickeln, welcher Weg bei wem der
hilfreichste ist.
Trügt der Eindruck, dass Ihnen auch die Nebenfiguren
sehr am Herzen liegen?
Nein. Es macht mir großen Spaß, beispielsweise für
Charlotte Lindholms Chef Bitomsky ein Privatleben zu
entwerfen, das zwar nicht im Film vorkommt, aber ständig
mitschwingt: in seiner Kleidung, der Ausstattung seines
Büros und seinem Verhalten. Seine Leidenschaft fürs
Wandern in der Gruppe ist beispielsweise seiner Einsamkeit
geschuldet, nachdem ihn seine Frau verlassen hat.
Auch LKA-Mitarbeiterin Schmidt-Rohrbach gefällt mir, als
bürokratischer Gegenpart zu unserer Hauptheldin. Sie
muss viel härter für ihre Ermittlungsergebnisse arbeiten als
Charlotte, weil sie einfach nicht so begabt ist wie diese.
Ich versuche, möglichst jeder Figur ihre eigenen Züge zu
geben und sie damit menschlicher zu machen. Von
Charlottes Mitbewohner Martin wissen aufmerksame
Zuschauer zwar schon lange, dass er Krimi-Autor ist, aber
es kam bisher kaum zum Tragen. Also habe ich ihm im
Drehbuch diesmal einen Erfolg als Schriftsteller gegönnt ?
damit er einmal aufblühen kann.
Dieser ?Tatort? ist besonders farbig geraten ? mehr dazu
im Interview mit Kameramann,Szenenbildnerin und
Kostümbildnerin. Was lag Ihnen bei dieser Farben-Idee
besonders am Herzen?
Um die Welt der Schrebergärten, diese Idylle,unter der
es brodelt, in voller Pracht zu zeigen, bedurfte es
einer radikal bunten Visualisierung. Die fast schon übernatürliche
Farbigkeit entspricht der scheinbar heilen Welt ? da
hätte eine herbstliche, entsättigte Farbstimmung weniger
gut gepasst.
In Rückblenden inszenieren Sie gegen Ende dieses
?Tatorts? vergangene Geschehnisse. Warum haben Sie
dabei auf Schwarzweiß-Bilder und verwischte Überblendungen
verzichtet?
Ich wollte die Vergangenheit ganz bewusst nicht in die
Distanz rücken. Die Vergangenheit bricht wie etwas sehr
Unmittelbares, sehr Gegenwärtiges wieder auf.
Von Anfang an gibt es immer wieder Andeutungen, dass
Psychologie und das menschliche Gedächtnis eine große
Rolle bei der Aufklärung dieses Falles spielen werden.
Haben Sie sich bei der Vorbereitung dieses Films mit
Erinnerung und Verdrängung beschäftigt?
Bei der Aufklärung dieses Falles holt die Vergangenheit
einige Figuren aus diesem Film wieder ein, eine Vergangenheit,
von der sie sicher waren, dass sie längst abgeschlossen
wäre. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, wie das
menschliche Gedächtnis funktioniert.
Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gelangt?
Die moderne Psychologie hat herausgefunden, dass unser
Gedächtnis nicht etwas abruft, das wie in einer Schublade
bereitliegt. Vielmehr wird etwas Neues kreiert, wenn wir
uns erinnern. Deshalb haben unterschiedliche Personen
unterschiedliche Erinnerungen,was die Details eines
Ereignisses betrifft. Die wesentlichen Eckdaten stimmen in
der Regel überein, aber die Feinheiten unterscheiden sich
enorm,was im Wesentlichen von der Emotion abhängt,
die mit dem Erinnern einhergeht.
Also ist unser Gedächtnis nicht sehr zuverlässig?
Wie wackelig unsere Merk- und Erinnerungsfähigkeit
ist, kann man überprüfen, indem man sich einen Film
anschaut und anschließend überlegt, welche Kleidung
die Darsteller anhatten.Auch Zeugen machen widersprüchliche
Aussagen, selbst wenn jeder sich völlig
sicher ist, so sei es gewesen. Das Gedächtnis ist kein
objektiver Datenspeicher, sondern auch eine Überlebenstechnik
des Menschen: Das Gedächtnis kann schlimme
Erinnerungen so zurechtrücken, dass wir damit weiterleben
können.
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