"Ich liebe diesen Realismus"
Interview mit Thomas Bohn
Tom Bohn (links) und Kameramann Simon Schmejkal am Set von "Und tschüss", Bild: fw |
Im ?Tatort: Und Tschüss?, der die Reihe der Krimis mit
Robert Atzorn als Ermittler Jan Casstorff abschließt, geht
es noch einmal ordentlich zur Sache. Gab es Elemente,
die Sie als Erfinder wie auch als prägender Autor und
Regisseur dieser Reihe unbedingt drin haben wollten?
Zunächst einmal: Ich bin nicht der Erfinder von Jan
Casstorff, sondern das war damals Felix Huby, der sich
zusammen mit Robert Atzorn auf die Ermittlerfiguren
und deren Charakteristika geeinigt hat. Ich bin als Autor
und Regisseur zu dem Team gestoßen, als eine erste
Fassung des ersten Casstorff-Tatortes (?Exil?) schon
auf dem Tisch lag. Den prägenden Autor lasse ich mir
auch nicht gefallen. Da täte man Felix Huby und den
vielen anderen Kollegen, die zu dem Hamburg-Tatort
tolle Bücher beigesteuert haben, wirklich Unrecht.
Anders gefragt also: Was lag Ihnen am Herzen für den
letzten ?Tatort? mit diesem Ermittlerteam?
Die sieben erfolgreichen und spannenden Jahre mit
einem ebenso spannenden wie erfolgreichen Film
abzuschließen.
Der Tote zu Beginn, der Unternehmer Arno Dahm, hat
fairen Handel mit der dritten Welt betrieben und Jugendliche
als Seelsorger beraten. Was macht diesen Mann für
Sie zu einem interessanten Opfer?
Idealisten sterben schnell. Und nicht selten durch fremde
Hand. Ich mag Menschen, die für ihre Überzeugung mit
dem Kopf durch die Wand wollen und dabei ihr soziales
Umfeld furchtbar nerven. Vermutlich, weil ich ein ähnlicher
Querschädel bin.
Kurz nach diesem Mord wird Staatsanwältin Wanda
Wilhelmi entführt, sie soll ihr Wissen über eine heiße Spur
preisgeben. Ist eine solche Entführung pure Fantasie oder
tatsächlich denkbar?
In einem Staat, indem vor nicht allzu langer Zeit sogar
der Generalbundesanwalt auf offener Straße erschossen
wurde, ist wohl alles denkbar.
Die Spuren führen zu Verbrechern, die Elektroschrott
aus Deutschland illegal und betrügerisch nach Afrika
verhökern. Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen und
was interessiert Sie daran?
Ich bin ein fleißiger Internet-User und dort in vielen Bereichen
unterwegs. Dort stoße ich auch meist auf die Themen,
die mich berühren. Das Elektroschrott-Thema habe
ich auf der Homepage der Umweltschutzorganisation
Greenpeace gefunden. Ein ?Tatort? ist ein wirklich tolles
Forum für Fälle dieser Art. Man kann hervorragend seine Mitmenschen ?en passant? für einen Missstand sensibilisieren
? in eine gute Krimihandlung verpackt.
In allen seinen Fällen war es wohl für Hauptkommissar
Casstorff wichtiger, den Fall zu lösen, als sein Gefühlsleben
auszubreiten. Wie erleben wir ihn diesmal, als seine
große Liebe Wanda Wilhelmi entführt wird?
Das ist so nicht richtig: In ?Der Passagier? zum Beispiel
rettet Casstorff seinen Sohn. Und in ?Harte Hunde? lässt
er sich fast wieder auf seine Ex ein. In beiden Fällen zeigt
Casstorff eine ordentliche Portion Gefühl, so wie in ?Und
Tschüss?.
Trügt der Eindruck, dass Sie das Buddy-Verhältnis zwischen
Casstorff und Holicek diesmal besonders hervorheben
und damit Ihren beiden Schauspielstars Atzorn und
Prückner noch einmal richtig Futter geben?
Dieser Eindruck trügt. Dadurch, dass Jenny als Puffer in der
letzten Folge wieder mit an Bord ist, funktioniert das Herumflachsen
zwischen Casstorff und Holicek wieder. Jenny
war und ist die wohl am meisten unterschätzte Figur der
Casstorff-?Tatorte?.
Ihr Showdown führt uns in die Container-Flächen des
Hamburger Hafens und Sie bieten uns sogar eine Verfolgungsjagd
auf der Elbe. War das ein besonders aufwendiger
Dreh? Wo lagen die Tücken?
Wir mussten ein internationales Containerschiff auftreiben
und unseren Drehplan nach dessen Fahrzeiten timen.
Das hat unserer Produktionsabteilung den kalten Schweiß
auf die Stirn getrieben. Aber alles ging gut.
Welchen Ihrer ?Tatorte? mit Robert Atzorn und Tilo Prückner
halten Sie eigentlich für den gelungensten? Und warum?
?Der Passagier?, weil er im Story-Setup sehr außergewöhnlich
ist, und ?Feuerkämpfer?, weil dort ein Thema zur Sprache
kommt, was heutzutage leider viel zu wenig thematisiert
wird: das Leid der Väter bei einer Trennung von ihren
Kindern. Unter dem Strich mag ich sie aber alle sehr, auch
die, die von anderen Kollegen gemacht wurden. Ich bin
und bleibe halt ein ?Casstorff-Fan?.
Was zeichnete die Zusammenarbeit mit Robert Atzorn
und Tilo Prückner bei den Hamburger ?Tatorten? aus?
Worin sehen Sie die wichtigsten Qualitäten dieser beiden
Schauspieler?
Robert ist ein sehr diszipliniert arbeitender und kollegialer
Schauspieler. Mich hat sehr beeindruckt, wie kooperativ
und sensibel er während unserer Zusammenarbeit war.
Tilo ist ein brillanter Komödiant. Ihm wünsche ich mehr
Rollenangebote, in denen er das zeigen kann.
Staatsanwältin Wilhelmi wird diesmal entführt ? sicher
auch eine besondere Herausforderung für die Darstellerin
dieser Figur. Wie haben Sie Ursula Karven bei diesem
Dreh erlebt?
Ursula hat mit ihrer Hingabe das ganze Team erstaunt.
Sie ist für mich der wahre Held der letzten Folge. Sie hat
für ihre Wanda noch gekämpft, als sich andere innerlich
schon von ihrer Rolle verabschiedet hatten.
Hamburg hat reichlich Stoff für Ihre ?Tatorte? hergegeben
? vom Menschenschmuggel in der Folge ?Exil!? bis zur
bereits erwähnten Episode ?Der Passagier?, in der Jan
Casstorffs Sohn Daniel in einem gekaperten Flugzeug
festsitzt. Eignet sich Hamburg in besonderer Weise als
Schauplatz für die Art von Krimi, die Sie gerne drehen?
Hamburg ist im Generellen meine Lieblingsstadt. Ich mag
die dort lebenden Menschen und ihre Geschichten. Hamburg
ist für mich in kreativer Hinsicht ein sehr dankbares
Pflaster. Die Filmteams, mit denen ich dort arbeiten durfte,
waren Spitzenklasse.
Hielten Sie es für richtig, die Geschichten um Casstorff
und seinen Sohn Daniel irgendwann auslaufen zu lassen?
Casstorffs Spagat zwischen Ermittlerpflicht und Sorge um
den Sohn machte doch seinen Charakter umso spannender,
oder?
Das hatte nicht ich zu entscheiden, sondern die Redaktion.
Und die hatte, in Punkto Zuschauerinteresse und Kompatibilität
zu anderen ARD-Sendungen, weitaus relevantere
Informationen als ich. Mir persönlich tat es sehr leid,
dass Casstorffs Sohn plötzlich nicht mehr mit dabei war.
Wie übrigens auch die Pause von Jenny, der Frau im Trio,
die von Julia Schmidt wirklich toll dargestellt wurde.
Viele aktuelle US-Krimis und einige deutsche Ableger spielen
in perfekt gestylten Einsatzzentralen und Laboren. Halten
Sie den rauen Realismus des ?Tatort? noch für zeitgemäß?
Ich liebe diesen Realismus. Es ist allerdings wichtig, ihn ab
und zu einmal ganz bewusst zu durchbrechen. Sonst wird
es langweilig.
Welche Möglichkeiten bietet der ?Tatort? Ihnen als Autor
und Regisseur denn insgesamt?
?Den Tatort? gibt es letztendlich nicht. Man ist sehr stark
davon abhängig, wie sehr man das Vertrauen des Senders
genießt und wie sich dieser Sender zu gewissen Stoffen
stellt. Ich habe da beim NDR in den letzten Jahren sehr
großes Glück gehabt. Wie zuvor beim SWR.
Wir dürfen vielleicht andeuten, dass dieser ?Tatort? mit
einem Happy-End ausgeht und Jan Casstorff und Wanda Wilhelmi ein neues Leben beginnen wollen. Sie verzichten
hier bewusst auf eine große Dosis Gefühl, belassen es
beim Understatement ? warum?
Dies war nicht meine Entscheidung. Hauptdarsteller,
Redaktion und Produktion haben sich für einen eher beiläufigen
Abschied ohne große Gefühle entschieden. Es gab
beim Ende ziemlich viele, unterschiedliche Überlegungen.
Ich habe mich da schließlich herausgehalten, weil ich weiß,
dass es bei Abschieden meist um etwas sehr Persönliches
geht. Manche Menschen wollen halt in solchen Momenten
nicht ihre wahren Gefühle zeigen. Im Film, wie im Leben.
NDR-Pressemappe
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