?Die Geschichte könnte in jeder Familie spielen?
Gespräch mit Aylin Tezel und Meral Perin
Meral Perin, Bild: NDR/Christine Schroeder |
Frau Tezel, Sie spielen im ?Tatort? die junge Deutsch-
Türkin Selda ? die Schwester der ums Leben gekommenen
Afife.Wie erleben wir Selda zu Beginn dieses ?Tatorts? ?
bedroht? Irritiert? Gehetzt?
Aylin Tezel: Selda ist nach dem Tod ihrer Schwester unheimlich
verschlossen. Ihr ist kaum ein Wort zu entlocken.
Ihre äußere Erscheinung verstärkt diesen Eindruck. So
erlebt Kommissarin Lindholm, dass Selda als einzige Frau
in der Familie Özkan ein Kopftuch trägt und sich damit
verschleiert. Dieses auffällige Verhalten lässt Charlotte
Lindholm sofort aufhorchen. Sie fragt sich,was mit dieser
Selda los sein könnte,was sie belastet.
Sie, Frau Peral, verkörpern im neuen ?Tatort:Wem Ehre
gebührt? Seldas Mutter Fatma. In welchem Zustand
erleben wir diese Frau?
Meral Perin: Fatma leidet an einer schlimmen Herzkrankheit.
Sie ist daher sehr gehandicapt, kann sich nicht so wehren,
wie es eine gesunde Frau könnte.Außerdem weiß sie
viel mehr, als sie nach außen trägt. Sie behält so manches
Geheimnis für sich, weil sie verhindern möchte, dass ihre
Familie auseinander bricht.
Verkörpert Fatma einen bestimmten Typus Frau?
Meral Perin: Fatma steht für die unfähigen Mütter, die es
nicht schaffen, den Mund aufzumachen, um zu helfen. Ihr
typischer Satz lautet ?Ich weiß von nichts?. Was weiß sie
wirklich? Was will sie nicht sehen?
Frau Tezel, macht sich Selda selbst verdächtig? Haben Sie
das in Ihrem Spiel angedeutet?
Aylin Tezel: Nun ja, wenn Selda auf die Fragen der Kommissarin
nicht antwortet und immer nur ausweicht, scheint
sie etwas zu verbergen. Sie ist wohl irgendwie in den
Tod ihrer Schwester verwickelt. Sie bestreitet, dass ihre
Schwester Afife Selbstmord begangen hat ? will aber nicht
verraten, wie sie sich da so sicher sein kann. Entweder
weiß sie also,wer der Mörder ist ? oder noch viel mehr. Es
gibt also gute Gründe, ihr zu misstrauen ? erst recht, als
sie Lindholm anonym anruft, aber nicht mit der vollen
Wahrheit herausrückt. Sie steckt in einer Zwickmühle: Sie
möchte den Tod ihrer Schwester aufklären, aber sie kann
ein schreckliches Geheimnis nicht lüften, ohne sich in
große Gefahr zu begeben.
Wie ist es bei Seldas Mutter Fatma: Gibt es bei aller
Tragik auch etwas, das diese schwer kranke Frau verdächtig
machen könnte?
Meral Perin: Da Fatma nicht viel Text hat, habe ich versucht,
in ihren Gesten deutlich zu machen, dass sie etwas verbirgt,
dass sie mehr weiß, als sie zugibt. Damit soll sie natürlich
verdächtig wirken, vielleicht nicht gleich tatverdächtig,
aber zumindest verdächtig, eine Tat nicht verhindert zu
haben. Mein Bemühen ging dahin, diese Figur möglichst
klischeefrei zu spielen.
Wie reagiert Fatma auf die Ermittlungen von Charlotte
Lindholm?
Meral Perin: Sie empfindet sie auf jeden Fall als Eindringling.
Charlotte Lindholms Ermittlungen könnten die Familie
zerstören ? das will Fatma verhindern.
Hat die Kommissarin Scheuklappen bei ihren
Ermittlungen?
Aylin Tezel: Ja, schon. Sie vermutet sofort einen Ehrenmord.
Davon lässt sie sich zunächst nicht abbringen. Sie erliegt
tatsächlich einem gewissen Schubladendenken, hat das
Gefühl, dass der islamische Glaube dahintersteckt.Am
Schluss stellt sich allerdings heraus, dass eine Tat dahintersteckt,
die weder einen spezifisch ethnischen noch einen
religiösen Hintergrund hat.
Aylin Tezel, Bild: NDR/Christine Schroeder |
Ohne dass wir Seldas Geheimnis schon verraten:Wie
haben Sie es als junge Schauspielerin empfunden, eine so
belastete, emotional verstrickte Figur zu spielen?
Aylin Tezel: Es ist eine Herausforderung, eine solche
Figur zu spielen. Ich kann nur Momente abbilden, aber
nie einen solchen Menschen in seiner Ganzheit zeigen.
Ich kann versuchen, zu einer Geschichte beizutragen ? aber
es bleibt immer nur ein Spiel. Einer Figur wie Selda kann
man psychologisch kaum gerecht werden, aber man
kann ihr in die Augen schauen und ihre Geschichte
erzählen.Was mich fasziniert hat, ist Seldas Glaube.
Im Glauben, in der Religion, findet sie ein Licht, das ihr
hilft, zu überleben.
Die Rolle der deutsch-türkischen Ehefrau und Mutter war
sicher auch kein Sonntagsspaziergang, oder?
Meral Perin: Ich musste selten bei einer Produktion so viel
im Bett liegen wie bei diesem Film.Außerdem musste ich in der
Maske mehrmals die Prozedur über mich ergehen
lassen, dass eine täuschend echte Operationsnarbe auf
meinen Körper aufgeschminkt wurde. Allerdings lag mir
auch selbst daran, dass die sichtbaren Folgen einer solchen
Operation auch deutlich erkennbar sind. Es war überhaupt
sehr anstrengend und belastend, eine Frau in einer solchen
tragischen Lebenssituation zu spielen: Sie ist schwer krank,
ihre Tochter ist gerade ums Leben gekommen,ihre Ehe ist
kaputt, besteht nur noch der Form halber.Welcher Mensch
kann so viel Leid auf einmal ertragen?
Wie war es für Sie, türkisch und deutsch zu sprechen und
zu spielen?
Aylin Tezel: Mich interessieren Sprachen sehr, ich finde
es toll, wenn verschiedene Sprachen in Filmen benutzt
werden. Ich selbst bin einsprachig aufgewachsen. Ich habe
als Kind, als Tochter einer Deutschen und eines Türken,
ausschließlich die deutsche Sprache gelernt. Meine Eltern
wollten, dass ihre Kinder zuerst richtig gutes Deutsch
lernen, damit sie in ihrer Umwelt gut zurechtkommen.
Türkisch ließen sie uns dann später dazulernen. Das war
dann nicht mehr ganz so einfach.
Haben Sie türkische Wurzeln, Frau Perin?
Meral Perin: Ja, klar. Ich wurde in der Türkei geboren, lebe
aber schon seit 35 Jahren in Deutschland. Das macht
mich schon eher zu einer Deutschen als zu einer Türkin.
Ich bin privat keine so gläubige Mutter wie meine Fatma
im ?Tatort? ? geschweige denn, dass ich mich mit den
verschiedenen Glaubensrichtungen wie den Aleviten oder
den Schiiten auseinandersetze.
Wie war es denn für Sie, türkisch und deutsch zu sprechen
und zu spielen?
Meral Perin: Als mir diese Rolle angeboten wurde, musste
ich zunächst einmal schmunzeln: Ich wurde diesmal
gefragt, ob ich gut Türkisch spreche und türkische Wurzeln
habe,während ich sonst meist gefragt werde, ob ich
Deutsch spreche.
Was ist türkisch,was ist deutsch-türkisch an Fatma?
Meral Perin: Im Kern geht es hier um Konflikte innerhalb
einer Familie ? die Geschichte könnte also in jeder Familie
spielen. Für mich als Schauspielerin zählt ebenfalls allein
die Rolle, nicht die Frage, ob ich eine Türkin oder eine
Deutsche spiele.
Fatmas Tochter Selda fällt insofern aus dem Rahmen, als
sich später herausstellt, dass sie unter dem Kopftuch kurze,
blond gefärbte Haare trägt ? sie selbst, Frau Tezel, haben
aber lange, brünette Haare. Sie mussten aber nicht Haar
lassen, oder?
Aylin Tezel: Nein, das war eine Perücke. Seldas blonde
Haare stehen für ihr früheres unbeschwertes Leben als
Basketballerin und cooles Girl, das einfach kein gelocktes
Püppchen sein wollte. Man sieht die blonden Haare nur
in kurzen Szenen. Da haben mir unsere außergewöhnlich
tollen Maskenbildnerinnen eine schöne Perücke verpasst.
Ich habe sie sehr gern getragen, denn ich finde es toll,
wenn ich durch das Kostüm so stark verändert werde, dass
es für mich selbst einen Überraschungseffekt hat, in den
Spiegel zu schauen.
Ist dieser ?Tatort? Ihre erste Rolle vor der Kamera?
Aylin Tezel: Nein, ich hatte bereits eine sehr schöne Hauptrolle
im Kinofilm ?Unschuld? von Andreas Morell. Als
direkt danach das Angebot für den ?Tatort? kam, habe
ich mich riesig gefreut. Ich bin selbst eine begeisterte
?Tatort?-Zuschauerin.
Neben dem Schauspiel leben Sie Ihr kreatives Talent auch
beim Tanz aus ...
Aylin Tezel: Ja, ich habe mich seit der Kindheit für beides
interessiert und auch in beidem ausbilden lassen. Es
ist eine tolle Mischung. Ich tanze etwa in einer Gruppe
namens ?Company of Moving Arts?, in der ich sogar
Schaupiel und Tanz miteinander verknüpfen kann.
Kommen eigentlich Deutsch-Türken zu selten in deutschen
TV-Serien oder TV-Filmen vor?
Aylin Tezel: Es gibt zu wenig Filme im deutschen Fernsehen,
in denen die Türken in einem positiven Licht gezeigt
werden. Meistens geht es um Zwangsheirat oder Kopftuchzwang.
Viele Türken in meinem Bekanntenkreis stört es,
dass oft nur dieses einseitige Bild gezeigt wird. Das Bild
der Türken im deutschen Fernsehen könnte weniger
düster, sondern etwas differenzierter und auch gerne
mal heller sein.
Und treten deutsch-türkische Schauspieler zu selten in
deutschen TV-Serien oder TV-Filmen auf?
Meral Perin: Viel zu selten, finde ich. Es tut sich zwar
einiges, aber der Fortschritt hält sich in Grenzen.
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