Hintergrund zum Film
Drehbuchautor Peter Probst über "Der Traum von der Au" und die Unfähigkeit, in Frieden zusammenzuleben
Bild: BR |
Ein morastiger Platz, um den sich windschiefe Häuser ducken. Die Fensteröffnungen sind kaum größer als Schießscharten, die Fassaden mit ungehobelten Brettern verschlagen. Das ist die Münchner Au - auf einem Ölbild aus dem Jahr 1912, das mein Großonkel vermutlich auf der Auer Dult erstanden hat.
2007 wird am selben Platz eine gewöhnliche Dreizimmerwohnung für eine halbe Million Euro zum Verkauf angeboten. "Greifen Sie zu!", heißt es in der Anzeige, "Die Au ist ein heimeliges Viertel, in dessen Straßen man auf Schritt und Tritt Altmünchner Herzenswärme begegnet." Mit der Herzenswärme auf Münchens Straßen ist es erfahrungsgemäß so eine Sache, aber wer träumt in Zeiten globaler Unübersichtlichkeit und Paranoia nicht von der Idylle?
Innerhalb eines Jahrhunderts hat sich die Au vom Herbergsviertel für Handwerker außerhalb der Stadttore zur Arbeitervorstadt und nun zum Geheimtipp für Yuppies entwickelt, die bei der Rallye um die Glockenbach-Immobilien zu spät dran waren. In zehn Jahren sollen in der Au alle Fassaden renoviert, alle Dächer ausgebaut und die Preise auf Schwabing-Niveau angelangt sein. "Hier wird München so aussehen, wie es einmal war", sagt ein Makler. Eine gewagte Prognose, wenn man bedenkt, dass 80% der historischen Bausubstanz der Au dem Bombenkrieg zum Opfer gefallen sind.
Wir kennen es aus anderen Stadtvierteln, aus Schwabing, Haidhausen und zuletzt dem Glockenbachviertel: Wenn alles schöner und teurer werden soll, stören die alten Mieter - die Altmünchner, die eigentlich für das vielgepriesene Flair der Viertel zuständig wären. Sie halten Wohnungen besetzt, die dringend einer Sanierung unterzogen werden müssen. Eigentümer bieten großzügige Abfindungen, mit denen der Altmieter weit außerhalb der Stadt in Taufkirchen oder Lohhof eine neue Heimat finden soll. Ein paar Sture bleiben trotzdem. Dann muss um sie herum saniert werden, was für beide Seiten kein Spaß ist.
Selten kommt es zum Vorgang der "Entmietung", wie ihn ein Freund im Westend erlebt hat. "Als alle Wohnungen außer unserer geräumt waren", erzählt er, "hat der Hausbesitzer die Türen offen gelassen. Es war mitten im Winter, ein paar Obdachlose waren froh, ein Dach über dem Kopf zu finden, obwohl Heizung und Wasser längst abgestellt waren. Im Speicher haben sich jede Nacht Punks zu Saufgelagen getroffen. Irgendwann haben wir aufgegeben."
Man soll niemandem wünschen, dass seine Träume in Erfüllung gehen. So ist das auch mit dem "Traum von der Au". Der Erwerb einer sündteuren Wohnung irgendwo in einem der entkernten Dächer des "heimeligen" Viertels kann einen Kriegseintritt bedeuten. Weil nämlich, egal ob Alt- oder Neueigentümer, der Münchner es nur schwer schafft, mit seinem Nachbarn in Frieden zu leben und oft ein arger Prozesshansel ist. Nichtsahnend schließt sich der Neueigentümer einer "Zwangstreitgemeinschaft" an, die so wichtige Fragen zu klären hat, wie die, ob der zum Gemeinschaftseigentum gehörige, seit jeher unzugängliche Luftraum im Dachspitz über einer Wohnung durch die Herausnahme einer provisorischen Abdeckung widerrechtlich privatisiert wurde.
In der Hinsicht hat Kommissar Ivo Batic Glück, dass ihn ein Leichenfund im Heizungskeller rechtzeitig aus seinem "Traum von der Au" aufwachen lässt.
Peter Probst
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