?Wenn es um Leben und Tod geht, gelten andere Gesetze?
Interview mit Michael Gwisdek
Bild: NDR/Marion von der Mehden |
Richter Voigt führt die Verhandlung in einem Mordprozess
und gerät dabei stark unter Druck. Wie könnte man sein
Dilemma beschreiben?
Der Richter kommt in die Situation, dass er einerseits
wegen seines Amtes auf der Seite des Gesetzes steht,
andererseits aber Angst um seine Tochter haben muss,
weil deren Leben bedroht wird. Der Richter entscheidet
sich ganz klar dafür, sein Kind zu schützen; was Recht und
Gesetz ist, ist ihm in dieser Situation eigentlich egal. Wenn
in Deutschland über dieses Thema öffentlich diskutiert
wird, wie beispielsweise im Zusammenhang mit dem Prozess
gegen den Mörder des Frankfurter Bankierssohnes
geschehen, herrscht meines Erachtens eine Riesenheuchelei.
Während der ganzen Arbeit an dem Film habe ich an
diese Geschichte denken müssen, an diese Riesendiskussion
über Folter, die sich da entwickelt hat, weil der Polizeikommissar
dem Täter im Verhör mal am Ohr gedreht hat.
Da gibt es Leute, die ernsthaft die Meinung vertreten, die
im Grundgesetz verbrieften Rechte müssten in jedem Fall
eingehalten werden und niemand dürfte bedroht oder eingeschüchtert
werden, auch wenn von seiner Aussage vielleicht
das Leben eines Kindes abhängt. Dabei bin ich sicher,
dass niemand sich an diesen Grundsatz halten würde,
wenn er selbst betroffen wäre. Ich würde jeden Menschen
hassen, der mir in einer solchen Situation erklären würde,
dass er sich an Recht und Gesetz hält und dass das wichtiger
ist, als Leben zu retten.
Der Zuschauer weiß lange nicht, was sich im Inneren des
Richters und auch im Inneren seines Hauses abspielt.
Die Figur ist zunächst sehr ambivalent. Wie haben Sie sich
ihr genähert?
Das ist ganz einfach gewesen. Da geht man von sich selbst
aus und verlässt sich auf sein Gefühl. Denn man weiß ja,
wie man in dieser Situation selbst reagieren würde. Ich
würde als Vater reagieren. Die Figur, die ich hier spiele, ist
Richter, aber sie ist auch Vater; und das Leben der eigenen
Tochter geht diesem Mann über alles. Wenn es um Leben
und Tod geht, gelten andere Gesetze. Erst einmal geht es
ihm darum, Leben zu retten, danach kann man reden. Der
Richter ist bereit, den Prozess so zu führen, dass er damit
das Leben von Corinna rettet. Danach kann er ja immer
noch versuchen, die Sache aufzuklären. Dadurch, dass ein
Unschuldiger vor seinen Augen erschossen wurde, hat die
Gegenseite ihm gezeigt, dass sie zu allem bereit ist, dass
es für sie ein Leichtes wäre, auch seine Tochter zu töten.
Nach dieser Demonstration kann er gar nicht anders als
gefühlsmäßig zu reagieren und alles zu tun, um sein Kind
zu schützen.
An einer Stelle sagt der Richter, er wäre sich seiner
Rolle als Richter noch nie so bewusst gewesen. Was meint
er damit?
Na ja, das ist das erste Mal, dass der Richter mit so einer
Frage in seinem Leben konfrontiert ist. Bislang hat er
wahrscheinlich gedacht, er wäre der ordentlichste und
beste Richter der Welt, und jetzt muss er auf einmal ein
Urteil fällen, bei dem er sein Berufsethos aufs Spiel setzt.
Er musste noch nie vorher über die Frage nachdenken:
Bin ich ein unbestechlicher Richter oder bin ich ein schwacher
Mensch, weil ich meine Tochter liebe? Diese ganze
Sache belastet ihn natürlich und er denkt den ganzen Tag
darüber nach. Es ist die schwerste Entscheidung, die er in
seiner Karriere fällen muss.
Richter Voigt gibt dem Beweisantrag statt, der die
Arbeitsmethoden des Kommissars in die Kritik stellt.
Gibt er einfach dem Druck der Gegenseite nach oder
verfolgt er eine eigene Strategie?
Die Strategie ist auf der einen Seite sicherlich die, Zeit
zu schinden; erst mal so zu reagieren, wie man das von
ihm verlangt und so Zeit zu gewinnen. Aber andererseits
sieht der Richter hier auch eine Möglichkeit, gut aus der
Sache rauszukommen. Wenn er juristische Gründe geltend
machen kann, warum man das Geständnis des Angeklagten
für eine Verurteilung nicht heranziehen kann, dann
ist er ja eigentlich aus dem Schneider. Wenn der Prozess
gegen den Angeklagten so nicht zu führen ist, dann muss
die Sache neu aufgerollt werden und er kann sich vielleicht
entziehen.
Der Druck, der auf Voigt lastet, wirkt sich auch auf die
Familie aus. Es gibt Krach mit der Tochter. Warum wird
nicht mehr kommuniziert in der Familie?
Beim Streit mit der Tochter gilt natürlich auch, dass es ihm
das Wichtigste ist, ihr Leben zu schützen. Da wird er dann
eben auch mal ruppig, wenn sie sich widersetzt und einfach
rausgehen will. In dieser Situation reagiert er wieder
sehr gefühlsmäßig. Dass zwischen den Eheleuten nicht viel
kommuniziert wird, ist natürlich vor allem eine dramaturgische
Entscheidung. Um die Situation in der Schwebe
zu halten, wird die häusliche Situation im Haus des Richters
eben nicht ausformuliert, und ich habe das für mich
als Schauspieler in dieser Situation auch offen gelassen.
Natürlich könnte man sich tausend mögliche Gründe
dafür ausdenken, warum die nicht miteinander sprechen,
und früher hätte ich das wahrscheinlich auch getan, wenn
ich so etwas hätte spielen sollen. Heute brauche ich das
nicht mehr.
Borowski vermutet, dass der Angeklagte einen ganzen
Ring von Pädophilen deckt. Das Thema dominiert die
zweite Hälfte des Films. Glauben Sie, dass Filme dazu
beitragen können, über dieses Thema aufzuklären?
Nein, ich glaube überhaupt nicht, dass Filme zu irgendetwas
beitragen können außer zur Unterhaltung.
Sie haben bereits andere Tatort-Teams kennen gelernt: Wie
haben Sie die Arbeit mit dem Kieler Ermittlerteam erlebt?
Als äußerst angenehm. Diese Arbeit hat mir großen Spaß
gemacht, und das ist für mich immer ein wichtiges Kriterium.
Auch wenn Heiner Müller mal gesagt hat, Arbeit, die
Spaß macht, ist keine Arbeit. Ich brauche das sehr, in einer
angenehmen Atmosphäre zu arbeiten, und in diesem Fall
ist das absolut gelungen.
Sie führen selbst auch Regie und hatten es hier mit einem
sehr jungen Regisseur zu tun. Kann man auch von den Jüngeren
noch was lernen?
Auf jeden Fall! Ich liebe es zu lernen, und ich habe auch
das Gefühl, immer wieder von Null anzufangen. Das
ist wahrscheinlich eine Frage des Alters, denn nur wenn
man jung ist, behauptet man, dass man viel wüsste.
Die Zusammenarbeit mit Florian Baxmeyer war sehr
angenehm, weil er eine sehr konzentrierte, professionelle
und engagierte Arbeitsweise hat. Ich hatte die ganze
Zeit das Gefühl, dass wir an einem großen Film arbeiten
und nicht an einer Serie.
Sie gehören schon lange zu den festen Größen im deutschen
Film. Gibt es eine Rolle, auf die Sie noch warten,
die Sie sehr gern mal spielen würden?
Früher gab es das, aber inzwischen eigentlich nicht mehr.
Das Einzige, was ich gern noch mal machen würde, ist ein
Western, wo ich den ganzen Film über auf einem Pferd
sitze. Das gefällt mir, das ist ein gutes Lebensgefühl, was
da rüberkommt.
Was ist Ihr aktuelles Projekt? Womit sind Sie gerade
beschäftigt?
Ich habe gerade drei Filme abgeschlossen. Das Letzte war
eine Rolle in dem Venedig-Krimi mit Comissario Brunetti.
Und jetzt habe ich gerade eine Pause eingelegt und bastele
mir zu Hause ein Plätzchen, wo ich mich dann hinsetzen
und all die Drehbücher lesen kann, die ich jeden Tag
so reinkriege.
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