?Ich hatte Lust auf einen Tatort, in dem es richtig zur Sache geht?
Interview mit Florian Baxmeyer
Sie sind Jahrgang ?74 und haben schon einen Studenten-
Oscar und eine Oscar-Nominierung; ein furioser Start.
Erleichtert das die Arbeit oder sieht man sich danach überspannten
Erwartungen ausgesetzt?
Es erleichtert auf jeden Fall die Arbeit, weil man im Fokus
vieler Produzenten steht. Was die hohen Erwartungen
betrifft, muss man sich selbst überlegen, wie man damit
umgeht, ob man sich den Schuh anzieht oder nicht. Ich
setze mich dem nicht so aus, weil ich ja auch sagen kann,
dass es ein Unterschied ist, ob man einen Kurzfilm oder
einen Langspielfilm macht, und ich habe meine Preise für
einen Kurzfilm bekommen.
Wo verorten Sie sich selbst als Regisseur? Gibt es Vorbilder,
bevorzugte Genres?
Schwer zu sagen. Ich habe einfach schon immer sehr gern
Filme geguckt, aber ich bin da eigentlich nicht so festgelegt.
Allgemein könnte man sagen, ich interessiere mich für
Geschichten, die im besten Sinne unterhaltsam sind.
Beim Tatort trifft der Regisseur nicht nur auf eine lange Tradition,
sondern auch auf eine feste Figuren-Konstellation.
Was hat Sie an dieser Arbeit gereizt?
Ich wollte schon immer einen Tatort drehen, (lacht), aber es
ergab sich vorher nie die Gelegenheit dazu. Es passte zeitlich
einfach nicht. Außerdem hatte ich meinem Vater versprochen,
mal einen Tatort zu drehen; für den ist das nämlich
so etwas wie der Ritterschlag als Regisseur! Ja, ich bin
natürlich mit dem Tatort aufgewachsen, wie so viele, und
da reizt das selbstverständlich. Darüber hinaus muss ich
sagen, dass mir die Konstellation und die Darsteller beim
Kieler Tatort außerordentlich gut gefallen. Das hat auch
eine große Rolle gespielt, das zu machen. Denn dort konnte
ich mit Schauspielern arbeiten, die ich sehr schätze.
Ein unbekannter Scharfschütze verbreitet Angst und Schrecken
in Kiel. Eine spannende und sehr komplexe Geschichte
entfaltet sich. Wo sehen Sie die Vorzüge des Drehbuchs und
wie haben Sie sich dieser Geschichte genähert?
Das war ein großer Kampf, muss man zugeben. Wir haben
sehr, sehr lange an dem Buch gearbeitet und bis zum letzten
Moment noch Änderungen vorgenommen. Das
Problem ist, dass es da ja um zwei Fälle geht, die erst einmal
nichts miteinander zu tun haben und die es dann
zusammenzuführen galt. Das war einerseits eine große
Schwierigkeit, andererseits aber natürlich auch eine große
Herausforderung. Und ich glaube, es ist uns gelungen,
die komplexe Geschichte so zu erzählen, dass man sie
gespannt verfolgt.
Was war Ihnen hier besonders wichtig? Wo wollten Sie
eigene Akzente setzen?
Zwei Dinge waren für mich wesentlich ? auch im Vergleich
zu anderen Folgen dieses Tatorts. Zum einen wollte ich
unbedingt, dass Axel Milberg ganz klar im Zentrum des
Films steht, dass ein Fall verhandelt wird, der ihn persönlich
angeht und ihn schauspielerisch auch fordert. Das
ist einfach ein toller Schauspieler, ein Pfund, mit dem ich
dann auch wuchern wollte. Zum anderen wollte ich einen
Krimi drehen, der wirklich spannend ist und in den Sessel
fesselt; also insgesamt weniger psychologisiert. Ich wollte
ganz klar eine unterhaltende Thrillerebene. Mir persönlich
sind die Tatorte sonst häufig zu verkopft. Ich hatte Lust auf
einen, in dem es richtig zur Sache geht. Mit den bescheidenen
Mitteln, die einem zur Verfügung stehen, natürlich.
In Deutschland wird derzeit ja viel mit neuen Krimi-Formaten
experimentiert; verfolgen Sie diese Entwicklung?
Na ja, die neuen Formate folgen ja häufig amerikanischen
Vorbildern. Die amerikanischen Krimiserien erleben ein goldenes
Zeitalter; sie sind brillant geschrieben und sehr originell.
Ich verfolge das selbst und finde sie alle wirklich ausgezeichnet.
Wichtig ist vor allem, dass sie wahnsinnig gute
Charaktere haben, Figuren, die nicht nur sympathisch sind,
sondern interessante Fehler haben. In Deutschland wird
vielleicht immer noch zu häufig gedacht, es sei wichtig,
dass die Hauptfiguren sympathisch sind. Die neueren Versuche
machen Anleihen bei den amerikanischen Formaten;
das ist schon sehr gut zum Teil, aber es scheint nicht zu
funktionieren, weil sich das Publikum etwas anderes
wünscht. Außerdem ist es vielleicht auch nicht die richtige
Herangehensweise, alles immer zu importieren und zu
kopieren, was aus Amerika kommt. Vielleicht wäre es wichtiger,
ganz eigene Ansätze zu finden.
Das Töten auf Distanz wird in diesem Krimi zum Thema.
Borowski lässt sich in der Frage von einem Experten
beraten, interessiert sich auch für die psychologische Seite.
Waren Berater bei den Dreharbeiten vor Ort?
Ja, technische Beratung hatten wir auf jeden Fall. Wir
haben uns genau erkundigt, was die technischen Details
anging. Und als wir mit den Leuten vom SEK zu tun hatten,
konnten wir mit denen auch über die psychologische Seite
noch einmal sprechen. Ich persönlich habe mich mit dem
Thema wegen der Balkankrieg-Problematik in meinem
Abschlussfilm bereits intensiv auseinandergesetzt. Der
Abstand, den man zu dem Getöteten hat, die Tatsache,
dass die Technik so dominant zwischen Täter und Opfer
steht, macht das Ganze mit einem Videospiel vergleichbar.
Gleichzeitig hilft genau diese Dominanz der Technik, sich
innerlich zu distanzieren und damit psychologisch klarzukommen,
dass man da ja auf Menschen schießt. Für die
polizeilichen Ermittlungen ist das ein Riesenproblem, wenn
man weder Tatwaffe noch Motiv hat und offenkundig
keine Beziehung zwischen Täter und Opfer besteht. Dann
gibt es praktisch keinen Ansatzpunkt. In Italien hat es
genau so einen Fall einmal gegeben. Da haben ein paar
Jurastudenten versucht, das perfekte Verbrechen zu begehen,
und wahllos auf einen Unschuldigen geschossen.
Aber auch die sind irgendwann geschnappt worden.
Borowski und Jung ermitteln gegen einen Pädophilen-Ring
und sichten entsprechendes Bildmaterial. Die Regie arbeitet
hier mit leisen Tönen, sucht den indirekten Ausdruck,
die Andeutung. In den Gesichtern der Ermittler spiegelt
sich das entsetzliche Geschehen auf dem Bildschirm ...
Wenn man mit Polizisten spricht, die mit dieser Problematik
zu tun haben, merkt man schnell, dass die eine professionelle
Haltung dem Thema gegenüber haben. Ich wollte das
Thema nicht überdramatisieren, denn so eine Haltung wird
ihm auch nicht gerecht. So sind diese zurückgenommenen
Szenen entstanden. Aber wir haben ja auch diese Fotos, die
man kurz sieht. So etwas zu filmen, macht echt keinen Spaß.
Wir mussten die ja erst einmal herstellen, und dabei
herrschte wirklich eine schlechte Stimmung auf dem Set.
Die Atmosphäre der Angst, die über der Stadt und speziell
über dem Haus von Richter Voigt liegt, wird wesentlich
durch die Musik evoziert. Wie haben Sie das erreicht?
Wir haben eine diskrete, eher undramaturgische Musik
gewählt, die nicht eins zu eins alles mitmacht, was eine
Szene erzählt. Ich wollte, dass die Musik eher eine subtile,
untergründige Spannung erzeugt. Sie besteht ja in erster
Linie aus elektronischen Elementen, ist fast mehr Sound
als richtige Musik. Wichtig sind vor allem die wiederkehrenden
Elemente und dass die Musik etwas erzählt, das
unter der Oberfläche liegt.
Richter Voigt wohnt geradezu fürstlich auf einem großen
Anwesen; wollten Sie damit etwas Spezielles erzählen?
Ja, das ist schon sehr feudal, das stimmt. Aber ich wollte
damit nicht erzählen, dass er viel Geld verdient. Das ist
geerbt, denke ich. (lacht). Ich bin ein Verfechter des Wirkungvor-
Logik-Prinzips und fand dieses Haus in diesem großen
Park gut wegen der Wirkung, die es entfaltet. Für mich vermittelt
es etwas Bedrohliches, Unheimliches, und das ist gut
für die Spannung, weil ja auch nicht gleich klar ist, wo der
Richter in diesem Film steht; so bleibt alles ambivalent.
Michael Gwisdek hält die Figur lange in der Schwebe. Er ist
ein erfahrener Darsteller. Wie war die Arbeit mit ihm?
Ich bin sehr, sehr glücklich über die Besetzung dieses Tatorts
und speziell auch dieser Rolle. Die Figur des Richters
ist sicher eine der problematischsten und schwierigsten in
diesem Film; viele, die das Drehbuch vorher gelesen haben,
hatten Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Figur. Das
heißt, das Ganze hätte ganz schön schiefgehen können,
aber Michael Gwisdek hat die Aufgabe wunderbar gelöst.
Dadurch, dass er dem Richter diese Verletzlichkeit gibt,
glaube ich ihm diese Figur in jeder Minute. Es war ein großes
Vergnügen, mit so einem Schauspieler zu arbeiten.
Was sehen wir als nächstes von Ihnen? Woran arbeiten Sie?
An der Verfilmung der ?Drei Fragezeichen?, die am 8. November rauskommt.
Und der zweite Teil ist in Vorbereitung.
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