Gespräch mit Claudia Garde
"Auch Journalisten bohren nicht immer nach"
?Man glaubt immer, dass über alle wichtigen
Ereignisse auch in der Presse berichtet wird.
Dass aber brisante Informationen nicht an die
Öffentlichkeit gelangen, ist vielen Menschen
bestimmt nicht bewusst?
?Investigativ? heißt der neue Hamburger ?Tatort? kurz
und knackig. Worum geht es genau?
Konkret geht es um investigativen Journalismus angesichts
bestimmter politischer und gesellschaftlicher Verwicklungen,
die bestimmten Personen erheblich schaden
könnten ? wenn sie ans Licht kommen.
Korruption ist also nicht das zentrale Thema?
Korruption spielt eine große Rolle, aber sie ist ein Mittel
zum Zweck. Das Ziel heißt: politische Entscheidungen unter
Umgehung der demokratischen Spielregeln so zu manipulieren,
dass sie den eigenen wirtschaftlichen Interessen
nützen.
Ein besonders reizvolles Thema für Sie als Regisseurin?
Ein besonders reizvolles Thema für mich ? nicht nur als
Regisseurin, sondern vor allem als politisch denkender
Mensch. Der Journalismus ist im Kern ein wichtiges Sprachrohr
für die Gesellschaft. Allerdings verkommt er mehr
und mehr zu einer Medienmaschinerie ? durch Einflüsse,
die sich nicht unbedingt an einer Hand abzählen lassen.
Im Print-Bereich gibt es inzwischen eine Flut von Blättern,
zwischen denen sich der Leser entscheiden muss. Information
wird dagereicht wie Falschgeld, und es wird immer
schwerer für den Leser zu filtern, welche Nachricht wichtig
und welche unwichtig ist. Hinzu kommt, dass sich nicht
jedes wichtige Thema auf der ersten Seite findet,manche
verschwinden nach der ersten Sensationsmeldung schnell
wieder hinten im Blatt und geraten im Bewusstsein der
Leser in Vergessenheit.Wir kennen das alle inzwischen.
Korruption und investigativer Journalismus sind keine
neuen Themen ? was ist das Besondere an Ihrem ?Tatort??
Sicherlich stellen wir Bezüge zum aktuellen Geschehen in
Hamburg her. Mich haben besonders die Verstrickungen
zwischen staatlichen Organen und Presse mit halbseidenen
Wirtschaftsinteressen interessiert. Offenbar wird nicht
über alles offen berichtet, weil es Absprachen im Hinter
grund gibt, von denen der Bürger nichts ahnt.Auch Journalisten
bohren nicht immer nach oder dürfen nicht
nachbohren ? das schürt Verdrossenheit und Ohnmachtsgefühl.
Wie setzen Sie Ihren Helden,Robert Atzorn als Kripo-
Ermittler Jan Casstorff, bei diesem brisanten Thema in
Szene? Als bekennenden Kämpfer für Ehrlichkeit und
Moral?
Casstorff geht zunächst mit den Mitteln, die ihm zu Verfügung
stehen, an diesen Fall heran. Hellhörig wird er allerdings,
als er merkt, dass er mit den üblichen Kripo-Methoden
hier nicht weiterkommt. Er wird von seinen Gegnern
ausgebremst ? und das zunächst mit rechtsstaatlichen
Mitteln und Kniffen.
In der vorigen ?Tatort?-Folge ?Schattenspiele? haben Sie
ebenfalls Regie geführt und die knisternde Affäre zwischen
Casstorff und Ursula Karven als Staatsanwältin inszeniert.
Zeigen Sie den Kommissar in diesem ?Tatort? vor allem als
kompetenten Ermittler?
Ja, die private Seite fällt hier etwas knapper aus,weil alle
intensiv mit dem Fall beschäftigt sind.Außerdem lässt
sich Wanda Wilhelmi als Staatsanwältin privat in den Fall
hineinziehen und gerät zwischen die Fronten.
Wie zeichnen Sie den zwielichtigen Alexander Radu und
seine Welt?
Mir liegt sehr daran, ihn zunächst einmal vorurteilsfrei als
rechtschaffenen Menschen auftreten zu lassen. Ich wollte
auf keinen Fall einen Bösewicht hinstellen, der nach allen
Regeln der Kunst agiert. Er soll so sympathisch und nett
wirken, damit es auch nachvollziehbar wird, dass er Menschen
wie Wanda als Staatsanwältin für sich gewinnen und
benutzen kann. Das Spannende ist aber, dass diese vermeintlich
rechtschaffenden Menschen alles unternehmen,
um die rechtlichen Grenzen auszureizen oder zu unterlaufen.
Manchmal könnte man tatsächlich annehmen, sie
glaubten sogar bis weit über die Grenzen der Kriminalität
hinaus, das Rechte zu tun.
Kommissar Casstorff ermittelt diesmal auch innerhalb der
Redaktion eines aktuellen TV-Magazins. Standen dabei die
ARD-Politmagazine Pate?
Die Autoren ließen sich von einem investigativen Journalisten
beraten, der aus eigenen Erfahrungen berichtet
hat.
Haben Sie im realen Magazin-Studio gedreht?
Nein, wir haben im Atelier von Studio Hamburg unser
eigenes Magazin aufgebaut, mit eigenem Namen, Logo,
Look und mit einem erfundenen Fernsehsender ? dabei
haben wir uns bewusst angelehnt an die bekannten
Politmagazine.
Redakteurin Schulz und Redaktionsleiter Gebauer klagen
in Ihrem ?Tatort? darüber, dass eine kritische Berichterstattung
von rechtlichen Einschränkungen behindert
wird.Kann ein Fernsehfilm wie der ?Tatort? als fiktionale
Geschichte dort aufklären,wo Journalisten nicht weiterkommen?
Ein ?Tatort? kann etwas anstoßen, kann Interesse wecken
bei den Zuschauern. Man glaubt immer, dass über alle
wichtigen Ereignisse auch in der Presse berichtet wird.
Dass aber brisante Informationen nicht an die Öffentlichkeit
gelangen, ist vielen Menschen bestimmt nicht bewusst.
Deshalb hoffe ich schon, dass wir neugierig machen
und neues Interesse für investigativen, aufklärenden
Journalismus wecken können.
Haben Sie in Hamburg an Originalschauplätzen gedreht?
Die Szenen vor dem und im Gericht haben wir beim Oberlandesgericht
gedreht, außerdem gibt es Szenen auf der
Trabrennbahn.
Im Krimi kommt es in erster Linie darauf an, Spannung
zu erzeugen. Haben Sie für sich ein Arsenal von Stilmitteln
entwickelt, bei denen es unweigerlich knistert?
Nein, überhaupt nicht. Die Spannung entwickelt sich aus
den Figuren und aus ihren Konflikten.Wie ich eine Szene
inszeniere, hängt von vielen Faktoren ab, auch von den
Schauspielern.Was bringt ein Darsteller mit? Was bringt
die Szene? Ist sie verbal oder nonverbal? Sicherlich hat jeder
Regisseur Wiedererkennungswerte, aber man sollte sich
da nicht auf eine bestimmte Sprache festlegen. Regie ist
ein sehr dynamischer Prozess, die Entscheidungen fallen
immer für einen konkreten Moment.
Was halten Sie von einer ?Wackelkamera?-Optik, wie sie
in einigen Krimiserien zu sehen ist? Wie experimentell darf
ein ?Tatort? in Ihren Augen sein?
Ich bin da sehr offen und habe meine ?Tatorte? sehr unterschiedlich
in Szene gesetzt.Wichtig ist, dass die Stilmittel
immer der Geschichte dienen. Die US-Serie ?24? mit mehreren
Kameras, die gleichzeitig mitdrehen, und dem geteilten
Bildschirm zum Beispiel ist schon wahnsinnig spannend
und hat sicherlich manchen deutschen TV-Regisseur
beeinflusst.
Haben Sie Robert Atzorn speziell herausgefordert?
Gerade bei den vielen Informationen, die ein Kommissar
zum Fall liefern muss, habe ich zusammen mit Robert Atzorn
intensiv daran gearbeitet, dass er diese Informationen
sehr schnell gibt, damit die Spannung nicht abfällt. Bei
Robert Atzorn weiß ich, dass er das kann. Aber grundsätzlich
fordere ich natürlich alle Schauspieler heraus!
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