Gespräch mit den Drehbuchautoren Thorsten Wettcke und Christoph Silber
"Die Recherchen haben uns eines Besseren belehrt"
?Obwohl sich der Hamburger ?Tatort? gern
brisanten gesellschaftlichen Fragen stellt,
wird die organisierte Kriminalität selten so
konkret geschildert wie in diesem Film?
Ein Attentat direkt vor dem Hamburger Strafjustizgebäude
liefert den Eröffnungs-Paukenschlag zu Ihrem neuen
?Tatort?.Wie kamen Sie auf die Idee?
Christoph Silber:Was haben die Zuschauer so noch nicht
gesehen? Was würde sie überraschen? Diese Fragen treiben
uns um, wenn wir den Auftakt zu einem Krimi schreiben.
In diesem ?Tatort? wollen wir besonders drastische und
realistische kriminelle Zusammenhänge in einer Großstadt
schildern. Dazu brauchen wir einen adäquaten Auftakt, der
richtig knallt und sofort klar macht, dass es um Verbrechen
von größerem Kaliber geht.
Wie erreichen Sie es, dass dieser Auftaktanschlag ?richtig
knallt?, wie Sie sagen?
Thorsten Wettcke:Wir hatten schon länger die Idee, dass
jemand vom Ermittlerteam zufällig mit ins Visier der Täter
und somit in große Gefahr gerät. Hier entgeht Ursula
Karven als Staatsanwältin Wilhelmi nur knapp den Kugeln
des Täters. Dieser Kunstgriff schafft sofort eine emotionale
Bindung der Ermittler an diesen Fall ...
Christoph Silber: ... und ist erzählerisch mit der Hauptgeschichte
verknüpft.Wir mögen es nicht so sehr,wenn der
Kommissar zufällig beim Joggen eine Leiche entdeckt.
Gab es zu diesem Großstadt-Krimi einen konkreten
Auslöser?
Thorsten Wettcke:Wir haben uns von kriminellen Machenschaften
in mehreren deutschen Großstädten inspirieren
lassen und sie in unserem Drehbuch auf die Stadt Hamburg
konzentriert. Fast alle Elemente der organisierten Kriminalität
und der Korruption, die in unserer Geschichte zu sehen
sind, gibt es wirklich oder hat es wirklich gegeben, zum Teil
in Hamburg, zum Teil in anderen Städten wie etwa Frankfurt
am Main oder Baden-Baden. Unser Fall verdichtet zahlreiche
Fälle aus ganz Deutschland zu einem Mosaik, einem
Konzentrat.
Sind Sie mit Ihrer Idee beim NDR und bei der Produktionsfirma
Studio Hamburg sofort auf Interesse gestoßen?
Christoph Silber: Ja, die Türen gingen weit auf, das Interesse
war groß. Obwohl sich der Hamburger ?Tatort? gern brisanten
gesellschaftlichen Fragen stellt, wird die organisierte
Kriminalität selten so konkret geschildert wie in diesem
Film ? es ist immer noch ein heißes Eisen! Wir möchten hier
zum Beispiel zeigen,warum viele Machenschaften gar
nicht an die Öffentlichkeit dringen, wie die Verknüpfungen
zur Presse aussehen.
Thorsten Wettcke: Einige dieser Vorfälle hätte ich so vorher
selbst für undenkbar gehalten, und auch einige Teammitglieder
haben nach der Lektüre des Drehbuchs wohl ungläubig
den Kopf geschüttelt. Aber die Recherchen haben
uns da eines Besseren belehrt.
Können Sie Beispiele nennen?
Thorsten Wettcke: Es gab tatsächlich eine Reinigungsfirma,
die bei städtischen Behörden geputzt hat und die
einem nahen Verwandten einer einschlägig bekannten
Familie gehörte. Das ist also alles andere als eine Räuberpistole,
bei der den Autoren die Fantasie durchgegangen
ist.
Wie haben Sie recherchiert? Und wie sind Sie an Insider-
Informationen herangekommen?
Thorsten Wettcke:Wir haben zahlreiche Enthüllungsberichte
von investigativen Autoren oder Reportern gelesen.
Zudem hat uns einer der namhaftesten investigativen
Journalisten Deutschlands bei unseren Recherchen unterstützt.
Er hat bei mehreren Treffen mit uns aus dem Nähkästchen
geplaudert.Wie gut er informiert war, zeigte sich
daran, dass er von Vorfällen wusste, über die die Presse
dann erst ein halbes Jahr später berichtet hat.
Christoph Silber: Daneben haben wir uns natürlich auch bei
Kripo-Leuten und Staatsanwälten informiert.
Sie haben bereits den ?Tatort: Schattenspiel? für das
Hamburger Team um Atzorn, ebenfalls in der Regie von
Claudia Garde,geschrieben. Haben Sie einige Ideen direkt
auf die Hauptfiguren zugeschnitten?
Christoph Silber:Wir wollten für Ursula Karven gern eine
Geschichte schreiben, in der sie stärker unter Druck und
in moralische Konflikte gerät.Was die private Beziehung
zwischen Robert Atzorn als Kommissar und Ursula Karven
als Staatsanwältin betrifft, finden wir es aus Autorensicht
am reizvollsten, wenn sich Spannungen zwischen ihnen
aus ihrer Arbeit ergeben. Es passt einfach am besten zu
diesem Paar,wenn sie auf professioneller Ebene aneinander
geraten und dabei die private Seite durchscheint.
Haben Sie selbst einmal investigative Reportagen für
Nachrichtenmagazine geschrieben oder für Politmagazine
im Fernsehen gedreht?
Christoph Silber: Ich komme zwar tatsächlich aus einer
Journalistenfamilie und habe auch selbst einmal journalistisch
gearbeitet, wenn auch nicht investigativ. Allerdings
habe ich schon früh einige investigative Journalisten
kennen gelernt. Sie haben mich immer fasziniert, weil
sie für mich so etwas wie die 007-Agenten unter den
Schreibern dargestellt haben.
Ihr ?Tatort? zeigt allerdings, dass die Mächtigen alle Hebel
in Bewegung setzen, um unliebsame Kritiker mundtot zu
machen ...
Christoph Silber:Wir möchten durchaus ein Gefühl von
Ohnmacht gegenüber diesen Machenschaften vermitteln.
Investigative Journalisten verspüren Wut, Enttäuschung
und sogar Rachegefühle, wenn sie miterleben müssen,
was alles unternommen wird, um eine Veröffentlichung
von brisanten Informationen zu verhindern.
Thorsten Wettcke:Wir hoffen, dass wir bei den ?Tatort?-
Zuschauern Betroffenheit auslösen, wenn wir zum Beispiel
den Kunstgriff verwenden, ihnen einen fertigen Beitrag für
das fiktive Politmagazin zu zeigen, der dann ... Ja,was dann
geschieht, sollten die Zuschauer selbst sehen.
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