"Momente, die durch ihre Stille stark sind"
Gespräch mit Thomas Freundner über ?Die dunkle Seite?
Sie haben zahlreiche ?Tatorte? mit verschiedenen Kommissaren inszeniert, dies ist Ihr
erster ?Tatort? mit Lena Odenthal. Gibt es etwas spezifisch ?Odenthalmäßiges? oder
überwiegt das Genre mit seinen Gesetzen?
Das gilt beides. Auf der einen Seite ist ein Krimi ein Krimi, und die Spannung erzählt
sich über den Fall, in dem die Kommissare den Bösen finden müssen. Dabei haben
sie alle gemeinsam, dass sie nicht nur edel und schlau sind, sondern auch
psychologisch versiert. Andererseits wird ein Krimi selbstverständlich über die Figuren
auch unverwechselbar und einzigartig. Natürlich stellt Lena Fragen anders als Batic
oder Borowski. Sie sind alle auf ihre Art einzigartig, aber alle verkörpern Ermittler. Der
eine ist bisschen hektischer, der andere ruhiger, der dritte hat Familienprobleme; es
sind Männer oder Frauen, und dadurch wird es dann einzigartig. Das ist das, was ich
mir von den Drehbüchern immer wünsche: dass sie gerade an dieser Stelle, jenseits
der Konstruktion des Falles und der Ermittlungspflicht der Kommissare, die Kür
schaffen: einer Figur so viel Charakter einzuhauchen, dass sie unverwechselbar wird.
Wenn ich nun als ?Handlungsreisender in Sachen Tatort? hierher komme und Lena
Odenthal inszeniere, die bereits in 40 Fällen ermittelt hat, dann fange ich nicht an,
einer Ulrike Folkerts zu sagen, wie Lena tickt. Das fände ich vermessen. Nachdem ich
mich mit der Figur beschäftigt hatte, habe ich ihr allerdings gesagt, dass ich sie immer
dann am stärksten finde, wenn sie leise ist. Wenn sie schnell reagiert, mit schlauen
Fragen, aber leise. Ich finde das souveräner, als laut und aggressiv zu sein. Damit war
sie völlig einverstanden, und wir haben es in diesem Film, glaube ich, relativ weit
gebracht, was die Interpretation der Figur Lena Odenthal angeht. Immer innerhalb des
bereits abgesteckten Rahmens, den ich toll finde und der ja auch sehr erfolgreich ist.
Aber dadurch ist es, hoffe ich, auch ein bisschen besonders.
Charakteristisch an diesem ?Tatort? ist, dass eine an sich recht überschaubare Raubund
Mordermittlung in die Erforschung einer Ehe mündet.
Ein guter Krimi, und das gilt für alle, sollte eine Ebene mehr in sich tragen als man am
Anfang dachte. Das leistet diese Geschichte. Am Anfang kommt sie relativ klar daher,
dann kommt die dramaturgische Konstruktion des ermordeten Mörders, die an sich ja
nichts Neues ist. Interessant ist hier, dass der ermordete Mörder nicht in der 60. oder
70. Spielminute daliegt, sondern in der 42. Zu dem Zeitpunkt erwartet man das nicht.
Es gibt ja konventionelle Strukturen, die die Zuschauer schon mitbeten können. Wenn
man davon abweicht, kann man große Effekte erzielen, weil das Publikum nicht damit
rechnet. Hier ist es die eigentlich zu frühe Ermordung des Mörders, die den Zuschauer
ratlos macht und den Fall in eine völlig andere Dimension kickt. Man ahnt, dass da
etwas ist, aber die Autoren haben intelligente Fehlspuren gelegt, so dass man erst am
Schluss begreift. Und wenn man begreift, ist man, glaube ich, wirklich ergriffen.
Der Film ist in seinen Mitteln eher zurückhaltend. War das Ihr Konzept?
Es ist ein sehr stiller Film geworden. Er lebt für mich gerade in den Momenten der
Pause, des Nicht-sprechen-Könnens. Mit Kameramann Georg Steinweh habe ich mich
mal auf die Formel festgelegt, dass wir die stummen Schreie bebildern wollen. Das hat
dann später auch dazu geführt, dass der Film sehr wenig Musik hat. Weil diese
Momente so überzeugend sind, dass man alles hätte kaputt machen können, wenn
man beliebig Musik eingesetzt hätte. Wir haben durchaus Musik, es ist kein spröder
Problemfilm, aber es gibt eben auch Momente, die durch ihre Stille stark sind. Was
das Bild betrifft, sind diese Momente ebenfalls eher arm. Keine Beauty-Shots!
Dadurch bekommen die Szenen Unausweichlichkeit, was sehr ergreifend, sehr
anrührend und emotional ist. Ich hoffe, dass das den Zuschauern auch so gehen wird.
Mir wird mittlerweile zuviel in die immergleichen Farbtöpfe gegriffen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man an Stellen, an denen man wirklich mal große
Emotionen wecken will ? angesichts eines Fernsehens, wo pausenlos nur
Schokoladeneis geschlabbert wird ? mit einem Stück Schwarzbrot am weitesten
kommt. Das wird dann als Delikatesse wahrgenommen ? Wir hatten außerdem das
Glück, ein Ensemble zu versammeln, das große Intensität erzeugt. Dann muss da gar
nicht viel dazukommen, damit es stark wird. Das war meine Hoffnung und ich finde, es
ist aufgegangen. Natürlich muss der Zuschauer entscheiden. Aber ich bin ja auch
einer!
Als Zuschauer sind wir sehr nah bei den Figuren. Wie haben Sie das erarbeitet?
Ich versuche, im Hinblick auf glaubwürdige Figuren schon beim Buch mitzuarbeiten.
Ich möchte immer ehrliche Figuren haben, nicht Figuren, ?die sind wie ??. Sie sollen
sein. So arbeite ich dann auch mit den Schauspielern, sie sollen sich nicht verstellen
müssen, weil im Buch das und das steht ? wenn sich etwas nicht aus dem Spiel
ergeben kann, ist die Szene nicht gut und man muss sie ändern. Jede, und sei es
noch so kleine Motivation, muss für den Schauspieler nachvollziehbar sein, dann ist
sie es auch für die Zuschauer. Aber das gilt für alle meine Filme. Deshalb ist auch die
Besetzung in meinen Augen so wichtig. Man entscheidet, in welche Richtung der Film
von jetzt an und bis zum jüngsten Gericht gehen wird. Besetze ich die eine oder die
andere für diese Rolle, sind das zwei komplett andere Filme. Sicher zwei tolle Filme,
aber ich muss entscheiden, welcher der dem Sujet angemessenere ist. Ich liebe
Besetzung, aber gleichzeitig verursacht sie mir Magendrücken und Albträume. Denn
es geht um die Menschen, die Story ist nur der Aufhänger.
Die Glaubwürdigkeit gilt auch für das mittelständische Milieu der Spedition ?
Ich fand die Entscheidung der Autoren, die Handlung in diesem Milieu anzusiedeln,
sehr überzeugend, gerade für den zweiten Teil der Geschichte. Ohne allzu viel von
der Geschichte zu verraten, kann man sagen, dass sie sich weniger leicht abtun lässt,
weil sie sich in dieser mittelständischen Normalität ereignet.
Das Speditionsmilieu war auch sehr gut recherchiert. Urs Beuter, der Szenenbildner,
hat dann ein Motiv gefunden, bei dem wir so gut wie nichts verändern mussten. Im
Büro haben wir einen kleinen Tisch weggenommen, damit der Dolly durchpasste, und
das Schlüsselbrett umgehängt. Ansonsten ist das alles original. Die Schauspieler
kamen an diese Location und spürten sofort, dass das stimmt. Wenn ein Ort stimmt
bis in die Einzelheiten, gibt das den Schauspielern auch Sicherheit, gerade wenn es
die Wohnung ihrer Figuren ist. Das beflügelt. Wir mussten noch nicht einmal mogeln,
was die Halle auf der anderen Seite des Hofes betrifft. Man kann ja im Film vieles über
Schnitte schummeln, manchmal muss man es leider auch tun. Aber wenn sich die
Orte verbinden lassen, liebe ich es, wenn man wirklich mit der Kamera von Raum zu
Raum kommt, hier sieht man hinüber, da geht man um das Haus herum etc., und das
alles ohne Schnitt und doppelten Boden. Als Zuschauer fühlt man dann die quasidokumentarische
Genauigkeit. Darum geht es im Spielfilm natürlich nicht, aber man
kann dadurch die Authentizität steigern.
SWR-Pressemappe
|