Liebeshunger
Gespräch mit Natascha Bub
?Das Schöne an diesem Buch ist, dass es die
Figuren nichtmoralisch verurteilt?
Karin Freiberg bringt große Opfer, damit ihr Sohn in einer
vermeintlich heilen Welt aufwachsen kann. Fiel es Ihnen
schwer, die Handlungsweise Ihrer Figur nachzuvollziehen?
Nein, eigentlich nicht. Als ich das Buch gelesen habe, habe
ich für mich herausgefunden, dass der Motor dieser Frau
die Liebe ist. Sie handelt aus Liebe zu ihrem Sohn, und das
ist etwas,was jeder nachvollziehen kann.Wenn man zuerst
hört, welchen Job sie macht, denkt man:Oh, das ist mir
aber fremd. Aber ich glaube nicht, dass das die Hauptsache
ist.Viel wichtiger sind die Motive, aus denen sie das macht.
Sie hat ein enges Verhältnis zu ihrem Sohn. Glauben Sie, sie
hätte offener mit ihm sein sollen,was ihren Beruf angeht?
Nein, das glaube ich nicht. Ich habe zwar selbst keine
Kinder, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man
sein Kind auch manchmal belügen muss, einfach um es zu
schützen. Das ist es ja,was sie tut: Sie schützt ihren Sohn.
Weil er das Wichtigste in ihrem Leben ist. Das kann ich sehr
gut verstehen. Sie sieht, dass ihr Sohn ein großes Talent
zum Geigespielen hat, dass er ein Gebiet hat, wo er blühen
kann. Und das ist es,was sie fördern möchte. Das ist wie ein
Ziel für sie. Alles andere ist dem untergeordnet.
Karin Freiberg hatte vor Jahren ein Verhältnis mit
Kommissar Casstorff ...
Ja, und ich finde es wirklich schade, dass diese Rolle auf
keinen Fall noch mal auftauchen kann, denn sie ist ja nun
leider gestorben. Das einzige Mal, wo wir die Liebesgeschichte
spielen konnten,waren die Momente, als wir die
Fotos geschossen haben, auf denen die beiden gemeinsam
zu sehen sind.
Diese Geschichte mit Jan Casstorff lag vor dem Unfall
ihres Mannes, also in einer Zeit, als Karin Freiberg noch
unbelasteter war. Sie hat das Verhältnis dann beendet, weil
sie sich ihrem Mann verpflichtet fühlte, aber ich kann mir
vorstellen, dass sie diesen Mann für Casstorff verlassen
hätte, wenn es den Unfall nicht gegeben hätte. Es war auch
von ihrer Seite aus auf jeden Fall Liebe.
Karin Freiberg führt ein Doppelleben. Nein, eigentlich sind
es sogar drei Leben. Sie hat ihre Reihenhaus-Welt, ihre Arbeitswelt
und ein heimliches Liebesverhältnis.Wo, glauben
Sie, lebt ihr eigentliches Ich? Wo ist sie wirklich sie selbst?
Den Liebeshunger, der diesem Film den Titel gegeben hat,
haben alle Figuren des Films, auch Karin Freiberg. Ich finde
diesen Titel treffend und schön, weil er die elementare Bedeutung
dieses Liebesbedürfnisses zum Ausdruck bringt.
Wir brauchen Liebe, sonst können wir nicht leben. Genauso
wenig, wie wir leben können, ohne zu essen. Da ihr Mann
kaum noch mit ihr redet,wendet Karin Freiberg sich einem
anderen zu, weil sie ganz einfach wirklich Liebe braucht.
Das Schöne an diesem Buch ist, dass es die Figuren nicht
moralisch verurteilt.Aus Karins und auch aus meiner Sicht
haben alle diese Figuren Recht, weil sie in ihrem Leben auf
der Suche nach Liebe sind.
Sie mussten für diesen Film im wahrsten Sinne des Wortes
die Opferrolle einnehmen, die Haltung einer Frau, die geknebelt
und gefesselt auf einem Bett stirbt.Nimmt man
das als Schauspielerin pragmatisch oder war das auch mit
zwiespältigen Gefühlen verbunden?
Ich hatte schon Angst davor. Bei der Lektüre des Drehbuchs
habe ich erst einmal geschluckt. So etwas hatte ich einfach
noch nie gemacht. Aber dann gibt es ja Vorbesprechungen
mit Regie und Kamera und die Kollegen waren sehr, sehr
nett, das ist natürlich eine Hilfe.Wenn man dann in der Situation
ist, kann man sich nur auf die Figur einlassen und
auf den Moment.Karin Freiberg ist es beispielsweise gewohnt,
in dieser Wäsche gesehen zu werden. In dem Punkt
war die Figur also viel stärker als ich, und sie gewinnt beim
Spielen überhand über meine persönlichen Gefühle. Das
war eine interessante Erfahrung.
Interview: Birgit Schmitz (Quelle: NDR-Pressemappe)
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