Liebeshunger
Gespräch mit Rafael Solá Ferrer
?Ich zeige viele verschiedene Facetten
dessen,was eine Frau, die zu haben ist, bei
Männern auslösen kann?
Ihr Buch führt in ein Milieu, über das sonst wenig berichtet
wird. Eine Ehefrau und Mutter, die der Prostitution nachgeht
? das klingt ungewöhnlich. Ist das ein Phänomen, das
häufiger vorkommt,als man denkt?
Ja, es ist sogar gar nicht so selten. Nachdem ich einen
Zeitungsartikel über eine Prostituierte gelesen hatte, die
angab, ein ganz normales Eheleben zu führen und Kinder
zu haben, die von ihrem Job nichts wüssten, habe ich angefangen,
in dieser Richtung zu recherchieren. Dabei stellte
ich fest, dass es in Hamburg ca. 1000 bis 1500 Prostituierte
gibt, die auf eigene Kappe arbeiten. Das sind fast ein Viertel
von den insgesamt 6000 Prostituierten in dieser Stadt ?
die, die nicht aus dem Osten kommen und/oder für bestimmte
Zuhälter arbeiten. Sie mieten so genannte Modellwohnungen
an und empfangen dort ihre Freier. Und diese
Wohnungen, in Hamburg sind es etwa 800, liegen nicht
etwa nur in St. Pauli oder St.Georg, sondern viele davon
auch in den besseren Wohnvierteln wie Winterhude oder
Eppendorf.
Was hat Sie an diesem Thema besonders interessiert?
Ich habe sofort angefangen mir vorzustellen, wie so ein
Doppelleben aussehen könnte. Letztes Jahr wurde in der
Presse von einem Mord an solch einer Prostituierten berichtet,
und die sah aus wie meine Nachbarin! Ganz normale
Frauen von nebenan, die nach außen hin ein intaktes
Familienleben haben, aber dieser ungewöhnlichen Art
des Broterwerbs nachgehen ? diese Dopplung erschien
mir interessant, und ich fand, dass diese Facette der Prostitution
auch noch wenig beleuchtet worden ist.
Karin Freiberg erfährt in dem Haus, in dem sie ihre Freier
empfängt, vor allem von Seiten der Frauen feindliche,
bigotte Reaktionen. Zugleich lebt sie ja selbst eigentlich
eine Lüge; sie ist nur nach außen hin die wohlsituierte
Ehefrau aus der gepflegten Reihenhaussiedlung.Kann
man sagen, dass sie am Ende auch ein Opfer ihrer eigenen
Verlogenheit wird?
Ist sie ein Opfer? Für mich ist sie eher eine verzweifelte
Frau. Sie hat einen Mann, der im Rollstuhl sitzt, und einen
Sohn, aus dem mal was werden soll. Sie hat ihren Job verloren
und ist ?zu alt?, um eine neue Einstellung zu bekommen.
In der Prostitution sieht sie die einzige Möglichkeit,genug Geld zu verdienen, um Haus und Familie zu finanzieren.?
Verlogenheit? finde ich ein zu hartes Wort. Sie
weiß sich nicht anders zu helfen. Es geht ums Überleben
und dafür ist sie bereit, ein völlig getrenntes Doppelleben
zu führen.Was übrigens von ihrem Mann mitgetragen
wird. Dieses Ehepaar hat eine klare Entscheidung getroffen;
sie wollen ihren Status Quo erhalten, dass ihr Sohn in
einer ?vermeintlich? intakten Familie aufwächst.Und um
diese Scheinwelt aufrecht zu erhalten, zahlen sie einen
hohen Preis.
Kommissar Casstorff gerät für einen kurzen Moment
lang in große Verlegenheit,weil seine Nummer im Handy
der toten Prostituierten gespeichert ist.Hat es Ihnen
Spaß gemacht, da mal ein wenig am Image des ansonsten
untadeligen Herrn Casstorff zu kratzen? Finden Sie ihn
zu brav?
Die Figur des Jan Casstorff hat für mich ein immenses
Potenzial. Da gibt es noch sehr vieles, das noch nicht ausgelotet
ist; man weiß beispielsweise immer noch sehr wenig
über seine Vergangenheit. Zwar ist klar, er hat diesen Sohn
aus erster Ehe, die gescheitert ist, aber darüber hinaus
ist wenig bekannt. Dass er mal ein ?Amour fou? hatte wie
mit dieser Frau, das traut man ihm fast nicht zu. Es hat
mich gereizt, ihm diese Facette zu geben.
Sie entwerfen lauter Männerfiguren, die einer ungestillten
Sehnsucht nachjagen. Haben Sie selbst ein Glücks-Rezept
oder sind Sie am Ende ein Pessimist?
Nein, ich bin ein absoluter Optimist! Und mein Glücksrezept
ist meine Frau. (Lacht) Aber es ist ja so, dass wir zugeschüttet
werden mit Bildern und Welten, die Sehnsüchte
und Begehrlichkeiten wecken, und da passiert es eben relativ
schnell, dass man anfängt, Fantasien zu entwickeln. Mit
einer Prostituierten scheint alles möglich. Das ist ein
ziemlich normaler Vorgang.Dieser Übersetzer im Film zum
Beispiel ist nicht ausgefüllt von seinem Eheleben; er und
seine Frau haben sich auseinandergelebt, man ist nur noch
wegen der Kinder zusammen. Aber statt sie zu verlassen,
versucht er mit der Frau von nebenan, seine Sehnsüchte zu
?leben?.Auch wenn er dafür zahlen muss.
Bis zur Wendung am Schluss kommen eigentlich fast alle
Männer in diesem Film als Täter in Frage. Damit verdichten
Sie Ihr Thema, erzeugen Spannung.Wollen Sie darüber
hinaus eine Aussage damit treffen?
Ich zeige viele verschiedene Facetten dessen,was eine
Frau, die zu haben ist, bei Männern auslösen kann. Da ist
dieser Nachbar, der Liebe will und dafür zahlt. Da ist der
Hausmeister, der auch verliebt ist, aber niemals dafür
bezahlen würde. Er lebt lieber mit seiner heimlichen Obsession,
als sich eine ?Lüge? zu kaufen. Dann der vom Leben
desillusionierte Ehemann, mit dem sie in einer reinen
Zweckgemeinschaft lebt. Und da ist dieser Typ, der auf
Fesselspiele steht. Er zahlt einfach, um seine bizarren Fantasien
auszuleben. Das Ganze ist für ihn einfach ein Deal.
Klare Absprachen, garantierte Befriedigung und hinterher
keine störenden Emotionen.
Sie haben bereits erfolgreich mit Thomas Bohn gearbeitet.
Hat er in diesem Film inszenatorische Entscheidungen
getroffen, mit denen Sie nicht gerechnet hätten?
Die Filmbilder sind ja per se immer anders als die Bilder,
die man als Autor beim Schreiben im Kopf hatte. Ich entwickle
die Geschichte auf dem Papier, der Regisseur muss
das Ganze dann zum Laufen bringen. Mein Job ist es,dem
Regisseur das Buch vertrauensvoll in die Hände zu geben.
Mit Tom Bohn arbeite ich jetzt zum zweiten Mal zusammen
und muss sagen, dass ich mit ihm beste Erfahrungen
gemacht habe.Wir haben eine sehr gute, weil konstruktive
und konspirative Zusammenarbeit, die durch gegenseitigen
Respekt geprägt ist, und wenn er mich überrascht,
dann im positiven Sinne. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass
er immer im Dialog mit mir geblieben ist.
Darüber hinaus gibt es natürlich immer Veränderungen
an einem Buch; die Schauspieler ändern die Dialoge manchmal,
um sie sich ?mundgerecht? zu machen. Ein Robert
Atzorn oder ein Tilo Prückner, die seit Jahren ?Tatort?-Filme
drehen, wissen natürlich sehr gut, wie ihre Figur spricht.
Ich liefere die Blaupause, und die Schauspieler eignen sich
den Text an und modifizieren ihn wenn nötig; nur so
können sie auch authentisch klingen.
Interview: Birgit Schmitz (Quelle: NDR-Pressemappe)
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