Verdächtige wie Sand am Meer
Dieser Fall ist wirklich verzwickt: ein toter Kapitän, ein trinkender Erster Offizier, und dann taucht noch eine zweite Ehefrau des Toten auf. Kommissar Borowski kommt beim TATORT "Mann über Bord" auf hoher See trotz Eiseskälte mächtig ins Schwitzen.
Denn bei diesem Mordfall ist nichts so, wie es scheint, schon der TATORT mitten auf dem Wasser ist selbst für einen erfahrenen Kommissar wie Klaus Borowski eher Ausnahme als Regel. Er und seine Lieblingspsychologin Frieda Jung müssen sich deshalb ermittlungstechnisch immer wieder neu aufstellen. Auch wenn beide dieses Mal Schützenhilfe aus Schweden in Gestalt der sympathischen Kommissarin Eveline Wallström erhalten.
Der erste Offizier Björndahl (Peter Haber, rechts) soll im Kommissariat in Schweden eine Telefonstimme identifizieren. KHK Borowski (Axel Milberg), Kommissarin Wallström (Ewa Fröling) und Polizeipsychologin Frieda Jung (Maren Eggert, hinten) erhoffen sich davon einen entscheidenden Hinweis. © NDR/Marion von der Mehden |
Der TATORT-Inhalt ist schnell erzählt. Hans Venske, der Kapitän eines Fährschiffs, das regelmäßig zwischen Deutschland und Schweden hin- und herpendelt, verschwindet eines Nachts spurlos - kurz nachdem er sich mit seinem ersten Offizier gestritten hat. Seltsam dabei: Die Lotsentür steht offen, was untrügliches Zeichen für eine Notlage ist. Hat der Kapitän womöglich Selbstmord begangen? Würde er umgebracht?
Der zweite Blick lohnt immer
Borowski wird schnell klar, dass sich ein zweiter Blick lohnt: Der tote Kapitän war in zwei Welten zu Hause und nutzte seine berufliche Pendelei für ein reges Doppelleben. Zu Hause in Kiel hatte er seine Ehefrau Annemarie, eine zupackende Krankenschwester, und in Schweden noch eine, und ein Kind dazu! Und auf diese Gattin, die junge, rehäugige Greta Karlsson, hat Hans Venske auch noch eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen?
Verdächtige also sprichwörtlich wie Sand am Meer. Borowski, der alte Grandler, wird auf hoher See mit einer ganzen Reihe undurchsichtiger Gestalten konfrontiert. Der tote Kapitän war nicht nur ein vermeintlich einsamer Wolf und ein stiller Vogelfreund, sondern auch ein Mann mit vielen Gesichtern. Sein Erster Offizier hat augenfällig genug Probleme, eines davon ist hochprozentig und zur Tarnung in einer Kaffeekanne versteckt.
Der erste Offizier Björndahl (Peter Haber, rechts) hat sich hemmungslos betrunken. Er befürchtet, dass er seinen Job los ist. Der Barkeeper (Alexander Karim, hinten links) bedauert Björndahls Ausraster. © NDR/Marion von der Mehden |
Und da sind auch noch die beiden Venske-Witwen, die tränenüberströmt die Schlechtigkeit ihres Mannes beklagen. Der deutsche Wallander - mit dem schwedischen Kommissar wird Borowski gern verglichen - bedient sich auch dieses Mal wieder skurrilen Herleitungsmethoden und ganz speziellen Lösungsansätze, zumal er von diesem offensichtlichen Fall von Bigamie auf eine seltsame Art und Weise fasziniert ist. Auch einsame Wölfe brauchen Streicheleinheiten
Die Kieler Mörderjagd gestaltet sich für den Zuschauer interessant und abwechslungsreich. Natürlich ist auch aufgrund von Klaus Borowskis unorthodoxen Methoden jeden Menge Situationskomik dabei, zumal er und Frieda Jung dieses Mal sogar gemeinsam verreisen dürfen und sich in einem düsteren Kabinengang sogar näher kommen.
Die Mörderjagd und der "Mann über Bord" jagen einem trotz soviel Herzwärme kalte Schauer über den Rücken, zumal sich die Schäreninsel in einer winterlichen Idylle mit viel Schnee präsentiert. Was lernt der TATORT-Zuschauer? Erstens: Auch einsame Wölfe brauchen Streicheleinheiten. Zweitens: Bei vielem auf der Welt lohnt es sich, einen zweiten Blick zu riskieren. Zum Glück tut Borowski genau das.
Katja Weiger-Schick
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