Feuertaufe
Kann die Realität ein Klischee sein?
Eine Frau wird ermordet. Die Leipziger Kommissare Ehrlicher und Kain werden mit einer Welt konfrontiert, wie sie realistischer kaum dargestellt werden kann.
Es ist oftmals typisch für Unmutsäußerungen diverser Kritiker, die Mär von zur Schau gestellten Klischees als Beweis für die Schwächen eines Krimis zu betrachten. Dabei wird vergessen, dass es Klischees gibt, welche bedauerlicherweise der Realität entsprechen. So verhält es sich allemal bei ?Feuertaufe?: Eine Geschichte, die direkt in das Herz eines auf den Verkauf von Eigentumswohnungen spezialisierten Unternehmens zielt.
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Ehrlicher auf glühenden Kohlen
Die ermordete Frau nämlich arbeitete für besagte Firma. Die Konkurrenzkämpfe mögen ? so steht bald die Vermutung im Raum ? ursächlich mit dem tragischen Ende einer hoffnungsvollen Berufsanwärterin in Verbindung stehen. Im Laufe der Ermittlungen bekommen es Ehrlicher und Kain mit dem Firmeninhaber Martin Forssell zu tun. Dessen motivatorische Qualitäten werden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschätzt.
Der Titel des Krimis ?Feuertaufe? bezieht sich auf eine der ?bombastischen? Übungen, die der ?Guru? des Unternehmens vorexerziert: Der Lauf über glühende Kohlen. Seinen Untergebenen will er dies als Demonstration innerer Stärke verkaufen. Es ist kurios, dass Ehrlicher schließlich diesen Lauf wagt, und mühelos unbeschadet übersteht.
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Selbstausbeutung als Prinzip
Das Klischee einer menschenverachtenden Unternehmenspolitik, die Mitarbeiter in unmittelbare Konkurrenzsituationen zueinander setzt (schließlich muss der Slogan gelten: ?Ich mache dann viel Geld, wenn ich die Leute bescheiße?) führt dazu, dass die sozial nicht mal abgesicherten ?Angestellten? unter dem enormen Druck stehen, Geschäfte positiv abzuschließen. Einerseits. Andererseits müssen sie aber in Kauf zu nehmen, menschliche Existenzen ihrerseits zu vernichten, wenn Eigentumswohnungen zu überhöhten Preisen vermittelt werden. Dieses zweischneidige Schwert ist es auch, dass den ?Reiz? dieses Krimis ausmacht.
Kann tatsächlich nur ein Mensch in diesem Metier beruflich erfolgreich sein, der bereit ist, sich selbst zum Knecht eines Systems zu machen, das die mögliche Vernichtung der Lebensgrundlagen von Menschen in Kauf nimmt, wenn als Ergebnis immerhin eine saftige Prämie herausspringt?
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Die Hoffnung stirbt zuletzt
Tatsache ist, dass merkwürdige Unternehmen wie das dargestellte wie die Schwammerln aus dem Boden wachsen. Täglich gibt es Stellenangebote in diversen Tageszeitungen und im Internet nachzulesen, die den zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr viel Geld versprechen. Dabei geht es meist um ?Immobiliengeschäfte? oder ?Finanzdienstleistungen?. Nicht wenige Menschen erklären sich bereit, den Weg in diese Branchen zu suchen, weil sie vielleicht (wie die Protagonisten im Film) gewisse Chancen wittern, beruflich voranzuschreiten.
Das Erwachen ist manchmal sehr bitter, da nur die wenigsten Berufsanwärter jenen Erfolg erzielen, der möglich scheint. ?Feuertaufe? erzählt von den Hoffnungen jener Menschen, die einen sehr hohen Preis zahlen, wo die Möglichkeit einer ?Karriere? vorgegeben scheint, welche aus dem Desaster bisheriger Lebensentwürfe herausführen kann.
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Ein Krimi als Spiegel der Realität
Der Traum vom schnellen Reichtum kann dazu führen, am Ende vor dem Nichts zu stehen. Die Eigenheiten dieser Unternehmen, die unglaubliche Einkünfte suggerieren, sind ebenso wenig klischeehaft wie die Menschen, welche den selbstbeweihräuchernden Unternehmens?spitzen? auf den Leim gehen.
Angesichts einer stetig wachsenden Anzahl von prekären Jobs dient dieser Krimi als Spiegel einer Realität, durch den die Grausamkeiten einer nur auf Profit ausgelegten ?Unternehmenskultur? reflektiert werden. Die Ausbeutung von Menschen ist im Kapitalismus ein Prinzip. Doch das Fehlen jeglicher menschlichen Regung seitens der Unternehmer führt dazu, dass nicht wenige Menschen eine von extremer Angst durchsetzte Existenz erleiden. Wenn Menschen einander spinnefeind werden, weil der Erfolgsdruck zur Austrocknung menschlicher Regungen führt, kann das Ergebnis nur demgemäß sein, wie es in ?Feuertaufe? demonstriert ist.
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Bitterer Nachgeschmack nicht ausgeschlosssen
Die Aufklärung des Falles stellt letztlich eine Verflechtung dar, welche ein Geheimnis ans Licht bringt. Diese erzielt zweifellos einen Überraschungseffekt.
Es handelt sich um einen der besten Fälle von Ehrlicher und Kain. Die beiden Kommissare sind teilweise persönlich in die Auswüchse des Wahnsinns verstrickt. Überhaupt sind alle schauspielerischen Leistungen exzellent: Michael Mendl als ?Guru? und Katrin Saß als Geschäftsführerin sorgen zeitweilig für Gänsehaut. Am Ende sind die beiden Ermittler um einige Erfahrungen reicher, und für den Zuschauer mag ein bitterer Nachgeschmack bleiben, wie ihn ein sehr guter Krimi, der gleichzeitig die Auswüchse merkwürdiger Unternehmens?philosophien? vorführt, erzielen kann.
Jürgen Heimlich
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